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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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wenn es Ihnen solchen Schmerz bereitet.«
    »In den Sommerferien kam es schließlich zum Eklat. Wir drei, meine Frau, ich und mein Freund, der Schulmeister, fuhren an die Küste, nach Great Yarmouth. Sie war sehr still und sehr traurig. Ich fürchtete, daß sie ihren Liebhaber vermißte, aber ich wußte noch immer nicht genau, was sie für ihn empfand und was genau zwischen ihnen vorgefallen war. Ich unternahm mehrere Versuche, mit ihr darüber zu reden, schaffte es aber nicht. Dann, am Abend vor unserer Rückkehr nach Cambridge, brachte ich es endlich fertig, sie darauf anzusprechen. Zu meinem Entsetzen – und, ich fürchte, auch zu meiner Erleichterung – gestand sie alles. Sie erzählte mir die ganze Geschichte: Sie habe geglaubt, daß sie mich liebte, aber als sie diesen Mann kennengelernt habe, habe sie erst begriffen, was echte Leidenschaft sei. Und, so sagte sie, er habe ihre Gefühle mit einer Intensität erwidert, die sie bei mir nie gefunden habe. Obwohl ich sie, weiß Gott, angebetet hatte. Wahrscheinlich fiel es mir nur nicht so leicht wie ihrem neuen Gefährten, meinen Gefühlen Ausdruck zu geben. Sie sagte mir, daß unser Freund, der Schulmeister, von Anfang an zu erraten schien, wie die Dinge standen, und sie sogar den Eindruck gehabt habe, daß er sie ermutige.« Ich sah zu Boden. Ich hatte nun schon lange genug darum herumgeredet. »Sie gestand mir, daß sie ein Liebespaar waren.«
    Ich brach ab und bedeckte mein Gesicht mit den Händen. »Sie war nicht die Frau, die ich geliebt und geheiratet hatte. Sie war nicht das unschuldige junge Mädchen, in das ich mich verliebt hatte. Das war der eigentliche Betrug.«
    Ich fühlte eine Berührung an meinem Arm und ließ die Hände sinken. Mrs. Locard sah mich tröstend an und sagte. »Verzeihen Sie mir, Dr. Courtine, aber vielleicht war das ja der Grund des Mißverständnisses zwischen Ihnen und Ihrer Frau. Sie waren der Meinung, Sie seien mit einem unschuldigen jungen Mädchen verheiratet, und sie wußte, daß sie das nicht mehr war – falls sie es jemals gewesen ist, selbst als Sie sie gerade erst kennengelernt hatten.«
    Ich dachte an Ficklings grausame Worte über den Grund, warum sie mich geheiratet hatte.
    »Sie meinen, daß sie mir etwas vorspielte, als sie mich heiratete?«
    »Das nicht, oder wenigstens nicht wissentlich. Aber vielleicht hatte sie ja zunehmend das Gefühl, daß Sie von ihrer wahren Natur nichts wußten, daß Sie nicht alle Seiten von ihr sehen wollten. Sie wollten, daß sie das süße junge Mädchen bleiben solle, aber sie entwickelte sich weiter, lernte und veränderte sich.«
    »Und ich war zu sehr in meine Arbeit vertieft, um das zu bemerken? Ja, da mag etwas Wahres daran sein.«
    »Aber vor allen Dingen wollten Sie, daß sie so bleiben sollte, wie Sie Ihrer Vorstellung nach war, als Sie sie kennenlernten. Als sie Ihnen dann erzählte, was passiert war, glaubten Sie, sie hätte Sie dadurch betrogen, daß sie ihre wahre Natur vor Ihnen verborgen hätte. Das ist sehr verständlich, denn was sie getan hatte, mußte Sie furchtbar verletzen. Sie waren der Meinung, daß sie ausschließlich aus eigensüchtigen Motiven gehandelt habe. Aber meinen Sie nicht, daß sie, schon bevor sie Sie tatsächlich betrog, das Gefühl hatte, Sie zu betrügen? Daß sie sich schuldig fühlte, weil sie fürchtete, es würde alles damit enden, daß Sie beide unglücklich würden?«
    »Gerade erst vor kurzem hat jemand etwas Ähnliches zu mir gesagt. Ist es möglich, daß ich mir auf perverse Weise gewünscht habe, daß sie mich betrügen sollte, um mich moralisch überlegen fühlen zu können? Wie ein heroischer Märtyrer?«
    »Es gibt Leute, die geradezu dazu einladen, sie zu betrügen. Sie legen sehr hohe Maßstäbe an sich selbst an und merken dabei gar nicht, wie streng sie anderen gegenüber sind. Sie machen es anderen sehr schwer, sie nicht zu enttäuschen. Und in einigen Fällen haben sie sogar eine grimmige Freude daran, wenn sie dann im Stich gelassen werden. Aber das bedeutet noch lange nicht, daß diese Menschen betrogen werden wollen .«
    »Ich war der Meinung, daß ich mich ihr gegenüber freundlich und väterlich verhielt. Ich war ja soviel älter als sie.«
    »Aber wenn ich mich nicht irre, Dr. Courtine, war das ja gerade das Problem. Sie haben sie nicht so behandelt, wie sie behandelt werden wollte. Und vielleicht hat der andere Mann genau das getan, indem er mit ihr wie mit einer erwachsenen Frau und mit einem gleichberechtigten Menschen

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