Die schwarze Kathedrale
wußte auch wieder nicht oder wollte nicht wissen, was mein Freund da trieb. Viele Jahre später verzieh ich ihm, oder meinte, ihm verziehen zu haben, weil ich mir einredete, er habe bei allem, was geschah, keine bösen Absichten gehegt. Aber jetzt habe ich festgestellt, daß er genau das getan hat, was ich ihm zunächst zum Vorwurf gemacht hatte. Er muß etwas gegen mich gehabt haben. Ich vermute, daß er neidisch auf mich war. Ich hatte eine Karriere an der Universität begonnen und war glücklich verheiratet. Er hatte weder das eine noch das andere geschafft. Deshalb beneidete er mich, aber ich glaube, daß er auch ein wenig eifersüchtig war. Oder vielleicht wollte er auch seinem Freund einen Dienst erweisen, selbst wenn es auf meine Kosten ging. Diesen Freund liebte er, er liebte ihn sogar sehr. Die Geschichte ist banal – wie eine Episode aus einem französischen Roman. Meine Frau war, wie gesagt, jung, schön und reich. Das hatte ich noch gar nicht erwähnt, oder? Ihre Mutter hatte ein enormes Vermögen geerbt. Meine Frau war also eine gute Partie. Ich hatte sehr viel Glück gehabt. In gewisser Weise wußte ich das, aber in anderer Hinsicht auch wieder nicht. Mein Freund, der Schulmeister, kam nicht mehr so häufig, und an seiner Stelle begann sein Freund – der niemals mein Freund wurde, denn er hatte gewisse Eigenschaften, die ich nicht schätzte – meine Frau allein zu besuchen. Er war gutaussehend und charmant und konnte sehr unterhaltsam sein. Er hatte in fremden Ländern gelebt und ungewöhnliche Dinge getan. Er besaß ein bißchen Vermögen, genug, um sich einige Wünsche zu erfüllen, aber nicht genug, um das Leben führen zu können, das er sich vorstellte. Er schrieb Gedichte und Reiseberichte und mußte für eine junge Frau, die nur verstaubte Gelehrte kennengelernt hatte, faszinierend sein. Aber er war ihrer nicht wert. Ich fühlte mich entsetzlich gedemütigt, als sie ihn mir vorzog.«
Ich mußte unterbrechen und brauchte eine Weile, um mich wieder zu fassen. »Ich glaube, die schlimmste Zeit bei der ganzen Tragödie war die, als ich bereits einen Verdacht hegte, aber noch nichts Genaues wußte. Es war während der letzten Wochen des dritten Trimesters, kurz vor den Sommerferien. Einmal kam ich unerwartet früh nach Hause, ging zufällig an einem offenen Fenster vorbei und sah die beiden im Wohnzimmer. Sie sahen sich nur an, lächelten nicht und sprachen kein Wort; sie saßen an den entgegengesetzten Enden des Sofas und sahen sich mit einer solchen Intensität des Gefühls an, daß man es mit Händen greifen konnte. Sie war so süß und unschuldig, und doch war ich überzeugt, daß sie vorhatte, mich zu betrügen. Ich begann, ihr heimlich zu folgen. Heute schäme ich mich entsetzlich dafür. Wenn sie glaubte, ich sei im College, schlich ich wie ein Dieb in den Straßen um unser Haus herum, um zu sehen, wohin sie ging und mit wem sie sich traf. Das Seltsamste war, daß ich begann, mich vor ihr zu fürchten.«
»Zu fürchten?«
»Ja, mich buchstäblich zu fürchten – daß sie mir einen schrecklichen Schmerz zufügen würde. Ich hatte das Gefühl, daß ich mich in ihr getäuscht hatte. Sie war nicht das Mädchen, in das ich mich verliebt hatte. Die unschuldige, süße junge Frau, die ich geliebt hatte, hätte nicht so grausam zu mir sein können. Es klingt pervers, aber ich glaube, daß meine Verdächtigungen sie zu dem getrieben haben, was sie dann tat. Ich glaube, daß ich die Wahrheit argwöhnte, bevor es etwas zu argwöhnen gab, oder jedenfalls bevor die Situation unrettbar geworden war. Aber ich sagte nichts. Es war mir unmöglich, mit ihr darüber zu reden. Als ich es schließlich herausfand … Als ich endlich wußte, was los war … Und jedermann in Cambridge wußte schon lange vor mir Bescheid … Ich fühlte mich so gedemütigt. Nein, ich glaube, ich weiß, was Sie jetzt denken. Aber es war nicht die Blamage, die ich ihr nicht verzeihen kann. Schließlich bin ich ja in Cambridge geblieben. Ich hätte meinen Posten auch aufgeben und fortziehen können. Aber ich hielt es in unserem Haus nicht mehr aus. Es machte mir angst. Ich begann, die Nächte auf einem Sofa in meinen Räumen im College zu verbringen. Nach einem Jahr gab ich das Haus dann auf.« Wieder mußte ich eine Weile innehalten, bevor ich weiterreden konnte. »Entschuldigen Sie, jetzt weiß ich nicht mehr, was ich sagen wollte.«
»Sie wollten mir gerade erzählen, wie Sie es herausfanden. Aber bitte, sagen Sie nichts mehr,
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