Die schwarze Kathedrale
Schönheit vor ihrem neuen Gemahl. Stellt euch seine Gefühle vor, als er den Blick langsam und voller Verlangen an ihrem Körper heruntergleiten ließ, von ihrem schlanken Hals über ihre vollen Brüste zu ihrem glatten Bauch, bis er, tief unten an ihrem Körper, ein Brandmal in Form seiner eigenen Lippen entdeckte.
Er sprang aus dem Bett und stellte sich mit dem Rücken zur Tür, und seine Angst war noch größer, als sie es gewesen war, als er mit verbundenen Augen in der Lichtung auf das Ungeheuer gewartet hatte.
Bekümmert über sein Entsetzen erklärte ihm die Prinzessin, daß sie durch den Zauberspruch einer bösen Hexe dazu verdammt gewesen sei, im Wald herumzuirren und jeden Mann zu töten und zu verschlingen, der kam, um ihre Hand zu gewinnen. Dadurch, daß der Prinz sie mit seinem brennenden Kuß überwältigt hatte, habe er den Zauber gebrochen. Sie versicherte ihm, daß sie ihn liebe, weil er sie errettet habe und weil er jung, schön und tapfer sei.
Der Prinz war sprachlos vor Entsetzen und Überraschung. Da begann die Dienerin zu sprechen, und sie eröffnete ihm, daß sie die alte Frau gewesen sei, die er auf dem Weg durch den Wald getroffen habe. Ihre Aufgabe sei es gewesen, jedem Bewerber auf seinem Weg zur Lichtung entgegenzutreten und herauszufinden, ob er es wert sei, Hilfe zu erhalten. Alle mit Ausnahme des Prinzen hätten sich als unwürdig erwiesen, da sie ihr das Essen und Trinken mit Gewalt entrissen hatten. Sie alle hätten ihrer Jugend und Kraft und ihren Waffen für den Kampf gegen das Ungeheuer vertraut, und sie alle seien besiegt worden. Ihm allein habe sie das Geheimnis verraten, wie er den Bann brechen könne, und er allein habe den Mut besessen, ihren Rat zu befolgen. Dadurch, daß er sich die Augen verbunden habe, habe er sich, als die Prinzessin nackt und nach Kadavern riechend auf ihn zugekommen sei, davor geschützt, vom Anblick ihrer Lieblichkeit, vor allem aber von der Schönheit ihrer Augen gelähmt zu werden.
Die Dienerin beschloß ihre Rede mit der Versicherung, daß er durch seine Wahrhaftigkeit und seinen Mut den Zauber gebrochen habe, und forderte ihn auf, die Prinzessin nun als seine Braut zu akzeptieren. Der Prinz aber war weiterhin entsetzt und stieß schließlich hervor, daß er niemanden zur Frau nehmen könne, der Menschen getötet und verschlungen habe. Er öffnete die Tür und drohte, Alarm zu schlagen und allen im Schloß zu sagen, daß ihre Prinzessin das Ungeheuer gewesen sei, daß all die Jahre hindurch den Wald unsicher gemacht habe.
Die Dienerin lachte und sagte, daß er damit nichts gewinnen würde, denn jedermann im Schlosse kenne die Wahrheit. Sie alle seien gerade dabei, das Ende des grausamen Fluches zu feiern, unter dem das ganze Königreich so lange gelitten habe.
Der Prinz stand da und wußte nicht, was er nun tun sollte. Da begann die Prinzessin, die ihn die ganze Zeit voller Sehnsucht angesehen hatte, zu sprechen. Sie sagte ihm, daß die Dienerin gelogen habe. Sie sei die Hexe, die sie verzaubert und dazu gezwungen habe, alle zu töten, die um ihre Hand anhalten wollten. Der Prinz habe den Zauber noch nicht ganz gebannt. Nur wenn er sie im vollen Bewußtsein dessen, was sie getan habe, zu seiner Frau machen würde, wäre die Kraft des Zaubers für immer gebrochen. Wenn er sie aber zurückweisen würde, würde sie wieder der Macht der Hexe verfallen und müsse als Ungeheuer in den Wald zurückkehren. Nachdem sie die letzten Worte ausgesprochen hatte, schritt sie, nur von ihren langen goldenen Haaren bedeckt, langsam auf den Prinzen zu.
Er hob die Hand, um sie abzuwehren. Die Dienerin lächelte und gab zu, daß die Prinzessin die Wahrheit gesprochen hatte. »Ich bin die Hexe, die sie verzaubert hat«, sagte sie. »Und der Grund, warum dein Kuß ihr solchen Schmerz bereitet hat, war der, daß er sie an die menschliche Liebe erinnerte, die ihr versagt war, solange sie im Wald wohnen und sich von den Leichen der getöteten Männer ernähren mußte. Du mußt dich jetzt entscheiden, ob du die Prinzessin als deine Braut akzeptieren oder sie zurückweisen willst.«
Der Prinz brachte kein Wort hervor, aber er schüttelte den Kopf.
Die Hexe lachte und fragte: »Willst du dann, daß ich dir die Waffen zurückgebe, die ich dir im Wald abgenommen habe?«
»Ja!« schrie der Prinz.
Im selben Augenblick hörte er, wie die Dienerin gellend auflachte. Die beiden Frauen und das Brautgemach verblaßten vor seinen Augen, die Burg verschwand, und er fühlte,
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