Die schwarze Kathedrale
seinem Namen verbunden ist.«
»Du respektierst das moralische System, das mit seinem Namen verbunden ist!« wiederholte Austin ironisch. »Ich spreche hier aber vom Glauben, vom Akzeptieren der absoluten Realität von Erlösung und Verdammung. Du und andere in unserer Generation, ihr habt euren Glauben verloren, weil ihr euch einbildet, daß die Wissenschaft alles erklären kann. Das habe ich auch eine Zeitlang gedacht, aber inzwischen habe ich begriffen, daß Vernunft und Glaube sich nicht widersprechen. Sie sind nur unterschiedliche Ebenen der gleichen Realität. Heute verstehe ich das, aber als ich jung war, da bin ich auch deinem Irrtum aufgesessen. Heute weiß ich, daß es Licht gibt, weil es auch Dunkelheit gibt; daß es Leben gibt, weil es den Tod gibt; daß es das Gute gibt, weil auch das Böse existiert. Und weil es die Verdammung gibt, gibt es auch die Erlösung.«
»Weil es Speck gibt, gibt es auch Eier!« konnte ich mich nicht enthalten auszurufen. »Was für ein Blödsinn!«
Austin starrte mich nur kalt mit seinen großen dunklen Augen an, als ob es nicht der Mühe wert sei, meine Irrtümer zu berichtigen.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »So hätte ich nicht reden dürfen. Aber du glaubst das, weil du glauben möchtest, daß du gerettet wirst. Du bist in genau die Falle geraten, von der wir immer geredet haben. Du hast dich von der Aussicht auf ein ewiges Leben und all diesem Unsinn verleiten lassen.«
»Was weißt du schon von meinem Glauben?« fragte er leise. Plötzlich wurde mir etwas klar, was mir eigentlich schon seit meiner Ankunft halb bewußt gewesen war – daß er für mich ein vollkommen Fremder war. Und dann erkannte ich mit noch größerem Unbehagen, daß ich sogar den Austin, den ich vor fünfundzwanzig Jahren zu kennen geglaubt hatte, nicht wirklich gekannt hatte. Der Mann, der mich jetzt mit solcher Verachtung anstarrte, war in gewissem Sinn als Möglichkeit in dem jungen Studenten bereits angelegt gewesen, und ich hatte nichts davon bemerkt.
Wir schwiegen lange. Draußen hielt der dicke Nebel den Domplatz und die Kathedrale in einer festen, frostigen Umarmung umschlungen. Austin trank einen Schluck und sah mich dabei über den Rand seines Glases hinweg an. Um seinem Blick auszuweichen, nippte auch ich von meinem Wein. Er stellte sein Glas auf den Fußboden und schwang die Beine von der Armlehne seines Sessels. »Du solltest jetzt doch die Geschichte von dem Geist hören.«
Er sprach freundlich, als seien wir nicht noch vor wenigen Augenblicken nahe daran gewesen, offen miteinander zu brechen. Ich paßte mich seiner veränderten Laune an. »Ja wirklich, die würde mich sehr interessieren.«
Nur zwei Tage später sollte es sehr bedeutungsvoll sein, daß Austin mir die Geschichte eines Mordes innerhalb der alten Domfreiheit erzählt hatte. Aber in jenem Augenblick schien es nur ein Versuch, die trauliche Intimität vergangener Tage wieder zum Leben zu erwecken.
Nach kurzem Schweigen begann Austin zu erzählen: »Während der letzten beiden Jahrhunderte hat immer wieder jemand eine hochgewachsene, schwarz gekleidete Gestalt gesehen, die schweigend durch die Kathedrale und über den Domplatz schritt.«
Ich nickte, und er fuhr fort: »Du machst ein skeptisches Gesicht, aber es gibt einen physischen Beweis, wenigstens für einen Teil dieser Geschichte. Es ist jedenfalls etwas, das du mit deinen eigenen Augen sehen und sogar anfassen kannst, falls du wie der ungläubige Thomas nur das als Beweis akzeptierst, denn es ist in Stein gehauen und es befindet sich keine fünfzig Meter von diesem Haus entfernt, in dem wir uns gerade aufhalten.«
»Was ist es?«
»Alles zu seiner Zeit. Vor etwa zweihundertfünfzig Jahren war ein William Burgoyne Schatzmeister der Domstiftung. Wenn du dieses Fenster öffnen würdest – bitte tu es jetzt nicht, denn es ist viel zu kalt! – und hinausschauen würdest, könntest du auf der linken Seite gerade noch das Gebäude sehen, das damals das Haus des Schatzmeisters war. Heute heißt es neues Dekanat, obwohl es das auch nicht mehr ist. Es ist zwar nicht ganz so groß wie das Dekanat jener Zeit und weist sicherlich nicht einmal ein Drittel der Größe des Bischofspalastes auf, aber es war bei weitem das hübscheste Haus am Domplatz. Burgoynes Vorgänger hatte es restauriert und neu ausgestattet, und zwar mit Geld, das er aus der Stiftung abgezweigt hatte, denn der Posten des Schatzmeisters war außerordentlich lukrativ für einen Mann, der bereit war,
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