Die schwarze Kathedrale
Sessel fallen lassen, so daß seine Beine über eine Armlehne hingen – eine Angewohnheit aus seiner Jugendzeit, an die ich mich plötzlich erinnerte –, und starrte mich wütend an, was in dieser wenig würdevollen Körperhaltung ziemlich lächerlich wirkte. Langsam wiederholte er meine Worte: »Ballast des Aberglaubens! Du und deinesgleichen, ihr seid doch die Lieferanten von diesem Ballast. Ihr habt einen Wust von Überzeugungen zusammengezimmert und damit eine neue Form von Aberglauben geschaffen, die viel gefährlicher ist als alles, was das Christentum enthält. Und sehr viel weniger nützlich. Das alles hilft dir gar nichts, sobald du vor großen Problemen stehst, dem Verlust oder dem Tod eines geliebten Menschen oder deinem eigenen unabwendbaren Tod.«
»Meinst du, daß eine Religion das sein sollte? Eine tröstliche Fiktion? Da ziehe ich die Wahrheit vor wie die römischen Stoiker oder meine geliebten Angelsachsen, bevor sie christianisiert wurden, selbst wenn diese Wahrheit noch so hart ist.«
»Es gibt nichts Härteres als das Christentum.«
»Bist du gläubig geworden, Austin? Früher warst du das nicht.«
»Das ist zwanzig Jahre her«, erwiderte er nervös. »Meinst du nicht, daß sich in der Welt außerhalb der Enge eines Colleges in Cambridge unterdessen so manches geändert haben kann?«
Das war tatsächlich eine Veränderung. Wir waren beide Freidenker nach dem Vorbild Shelleys gewesen, wie die fortschrittlichsten unter den denkenden Studenten unserer Generation. Mit welcher Leidenschaft hatten wir alle Religion als organisierten Humbug abgetan! Ich hatte meine Meinung nicht geändert, und meine Erfahrungen als Historiker hatten meine Überzeugung noch verstärkt, daß Religion eine Konspiration der Mächtigen gegen alle anderen war. Aber meine Haltung war weicher geworden, so daß ich Menschen, die ihren Glauben hatten, nun bedauerte und nicht mehr gegen sie wütete.
»Und außerdem war ich auch an der Universität gläubig«, fuhr er bitter fort. »Nur meine Angst, von dir und deinem Kreis verspottet zu werden, hat mich bewogen, so zu tun, als sei ich Agnostiker.«
Austin war als Traktarianer, also als Anhänger des katholischsten Flügels der High Church in Cambridge angekommen, und zwar als Traktarianer der äußerlich-modischen Art. Ich glaube, er hatte damals nur seinen Vater ärgern wollen, der Vikar der Low Church und ein Mann von bescheidener Herkunft und geringen Geldmitteln war, und Austin hatte sehr schnell verkündet, daß er ungläubig sei. Hatte ich ihn bekehrt, ohne es auch nur zu merken? War er so manipulierbar gewesen? Wenn ich ihn wirklich beeinflußt hatte, hatte das nicht daran gelegen, daß ich intelligenter gewesen wäre als er, sondern allein an der Tatsache, daß ich mir besser darüber im klaren war, was ich glaubte und was ich wollte. Austin hatte eine gewisse Trägheit an sich, die ihn dazu bewog, sich treiben zu lassen und sehr viel nachsichtiger mit sich selbst zu sein als ich. Dieser Aspekt seines Wesens war auch der Grund gewesen, weshalb er so leicht unter den Einfluß des Mannes hatte geraten können, der mir soviel Schaden zugefügt hatte.
»Als Studenten pflegten wir das Christentum sehr zungenfertig als Aberglauben abzutun«, sagte Austin. »Als Aberglauben, der sich im Licht des Rationalismus fast vollständig in Luft aufgelöst hatte und dessen endgültiges Verschwinden wir mit Überzeugung voraussagten. Aber jetzt weiß ich, daß es genau umgekehrt ist: Ohne Glauben hat man nichts als Aberglauben. Angst vor der Dunkelheit, vor Geistern, vor dem Reich des Todes, das nicht aufhört, uns in Schrecken zu versetzen, und was sonst noch. Wir brauchen Geschichten, damit wir uns nicht mehr fürchten. Du hast dir deine tröstlichen Mythen und Legenden aus der Geschichte geschaffen – wie deine Vorstellung von König Arthur.«
»König Arthur? Was redest du da?«
»Hast du mir nicht gerade erzählt, daß du ein Buch über König Arthur schreibst?«
»Um Himmels willen, nein. Ich habe von König Alfred gesprochen.«
»König Arthur oder König Alfred. Das spielt keine große Rolle. Vielleicht habe ich sie ja verwechselt, aber das, worauf es ankommt, bleibt sich gleich. Du schaffst dir deine eigenen Geschichten, um dich zu trösten.«
»Im Gegensatz zu König Arthur ist Alfred eine hinreichend belegte historische Persönlichkeit«, widersprach ich ärgerlich. »Nicht wie dein Jesus von Nazareth; sosehr ich auch das moralische System respektiere, das mit
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