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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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»Und in die Verdammnis.«
    »Wenn wir die Wahl haben«, meinte ich, »dann würde ich lieber das Glück als die Leidenschaft wählen.«
    »Dann bist du ein Student«, gab er zurück, »wenn du das so leicht beiseite wischen kannst.« Und dann fragte er mit abgrundtiefer Verachtung: »Du hattest genug Leidenschaft, sagst du? Deine kurze Ehe vor all den Jahren war genug?«
    »Sprich nicht mehr davon, Austin.«
    »Ich glaube, du bist ein schlimmerer Fall als ich«, meinte er ernst. »Wenn du einmal stirbst, wirst du feststellen, daß du gar nicht gelebt hast.«
    »Oh, ich habe gelebt, Austin.«
    »Einmal. Und das vor zwanzig Jahren!«
    Ich war überrascht, daß er so kalt, fast höhnisch darüber reden konnte. Wollte er den Anschein erwecken, als habe er nicht begriffen, was es für mich bedeutet hatte? Hatte er es wirklich nicht begriffen?
    »Es wäre mir lieber, wenn wir darüber nicht reden würden.«
    »Ich nehme an, daß du dir Vorwürfe machst?«
    »Vorwürfe? Vermutlich ja. Ich war naiv, vertrauensvoll und weltfremd. Und da wir uns nun schon so offen unterhalten, kann ich dir auch gleich sagen, daß ich lange Zeit zornig auf dich war.«
    »Du warst zornig auf mich?«
    »Aber Austin, egal was für Gefühle ich damals gehabt haben mag, du mußt wissen, daß ich deine Einladung nicht angenommen hätte, wenn ich dir wegen der Rolle, die du damals gespielt hast, noch immer böse wäre.«
    »Und was meinst du, was das für eine Rolle war?«
    »Nein, ich fürchte, du mußt dich mit dem begnügen, was ich gerade gesagt habe. Ich bin nicht gewillt, eine Art post mortem- Untersuchung über das durchzuführen, was vor so vielen Jahren passiert ist.«
    »Hast du wirklich gar nichts gehört …?«
    »Sie ist tot. Für mich ist sie tot.«
    »Ich habe von einem alten Freund in Neapel gehört…«
    »Ich will es nicht wissen, Austin. Erzähl mir nichts mehr. Ich nehme an, daß sie noch lebt, denn wenn sie gestorben wäre, hätte es mir sicher jemand zugetragen.«
    »Ich habe von einem alten Freund in Neapel gehört, daß sie ein Kind haben«, sagte er. »Hast du das gewußt?«
    Ich fühlte einen so schmerzhaften Stich, als habe mir jemand einen Dolch in die Rippen gerammt. Ich schüttelte den Kopf. Austins Stimme drang nur gedämpft in mein Bewußtsein.
    »Ein Mädchen. Sie ist etwa fünfzehn Jahre alt. Ich habe gehört, daß sie sehr intelligent und sehr schön ist. Sie hat die Züge ihrer Mutter und die Augen ihres Vaters.«
    Ich bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Du hörst die Wahrheit wohl nicht gern? Eine seltsame Eigenschaft für einen Historiker. Empfindest du das nicht als berufliches Manko?«
    Ich nahm die Hände vom Gesicht und wandte mich ab. »Ich hätte nicht kommen sollen.«
    »Das gehört alles mit zu deiner Neigung zu unverbindlichen Kompromissen.« Er lachte kurz auf. »Das ist deine Leidenschaft: Kompromisse. Mache dich nicht über die Überzeugungen anderer lustig, auch wenn du sie für noch so falsch hältst. Dein Leben ist so privilegiert und läuft in solcher Geborgenheit ab – und du hast es noch weiter eingeengt, indem du so vieles ausgeschlossen hast; du hast so ein sicheres, vorsichtiges Leben geführt. Ich hingegen habe so viel Entsetzen, solche Demütigungen und derartige Ekstasen erlebt, daß du gar nicht versuchen brauchst, sie dir vorzustellen.« Er schwieg. Dann fuhr er fort: »Aber ich bin so froh, daß du mir vergeben hast.«
    Wir saßen mindestens eine Minute lang stumm da. Es kam mir zum Bewußtsein, wie dunkel es um uns herum geworden war, nur das Licht einer einzigen Kerze und die verlöschende Glut des Feuers erhellten den Raum. Ich hörte sogar die Uhr auf dem Treppenabsatz unter uns ticken.
    »Es ist zu spät, um noch in ein Hotel zu gehen«, sagte ich beim Aufstehen. »Aber gleich nach dem Frühstück werde ich das Haus verlassen.«
    Austin wirkte wie jemand, der aus einer Narkose oder aus hypnotischer Trance langsam wieder zu sich kommt. »Natürlich mußt du bleiben. Es tut mir leid, wenn ich dich beleidigt habe. Ich weiß auch nicht, warum ich das alles gesagt habe. Du wirst doch nicht gehen, oder?«
    »Ich glaube doch.«
    »Sieh mal, um ganz ehrlich zu sein, ich bin im Augenblick nicht ganz ich selbst. Bitte setz dich wieder hin.« Zögernd folgte ich seinem Wunsch, und er fuhr fort: »Es gibt da etwas, das mich belastet. Sonst hätte ich das alles niemals gesagt.«
    »Das habe ich mir schon gedacht.«
    »Ich habe eigentlich nicht mit dir geredet, sondern mit mir selbst. Ich

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