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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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lassen.«
    »Es ist alles in Ordnung. Geh! Es war nur ein Alptraum.« Sein Tonfall machte Widerspruch unmöglich. Sehr verwirrt tat ich, worum er mich bat, konnte aber lange keinen Schlaf finden.
    Nachdem ich ihn so verletzlich und gequält gesehen hatte, war mein Ärger über ihn weitgehend verflogen. Hatte mein alter Freund sich selbst mit der Geistergeschichte einen Schrecken eingejagt, von der er behauptet hatte, daß sie mich am Schlaf hindern und meine Träume stören würde? Das Entsetzen, das ich in seinem Gesicht gesehen hatte, ließ eigentlich auf etwas viel Schlimmeres schließen. Ich hatte Mitleid mit ihm, denn ich wurde selbst oft von Alpträumen geplagt. Besonders in der schlimmsten Zeit meines Lebens hatte ich mich mehrere Monate lang fast davor gefürchtet, zu Bett zu gehen. Ob Austins Alptraum etwas damit zu tun hatte? Wurde er von Schuldgefühlen wegen seiner Rolle in dieser schmerzhaften Angelegenheit gequält? Obwohl mir nicht ganz klar war, welche Rolle er wirklich gespielt hatte, war er doch ganz gewiß wenigstens zum Teil dafür verantwortlich gewesen. Hatte er mich eingeladen, um das wiedergutzumachen? Oder brauchte er Hilfe wegen dieser geheimnisvollen Krise, in der er steckte? Und war die Frau, von der er gerade im Traum gesprochen hatte, das Objekt seiner Leidenschaft?

Mittwoch morgen
     
    Ich erwachte vom Läuten der Kirchturmuhr, brauchte aber zu lange, um zu mir zu kommen, als daß ich die einzelnen Schläge hätte zählen können. Im Zimmer war es dunkel. Die schweren Vorhänge ließen kein Licht herein, an dem ich hätte erkennen können, wie spät es war. Mit großer Willensanstrengung entzündete ich eine Kerze und zwang mich, das Bett zu verlassen. Die Kälte in der ungeheizten Kammer ging mir durch Mark und Bein. Als ich angekleidet war, sah ich auf die Uhr. Es war bereits acht. Erschrocken über eine solche Undiszipliniertheit meinerseits zog ich die ausgefransten Vorhänge zurück und stellte fest, daß immer noch dichter Nebel herrschte. Selbst in diesem trüben Licht stand die vom Alter geschwärzte Mauer der Kathedrale erschreckend dicht vor dem Fenster.
    Als ich wenige Minuten später die Treppe hinunterging, stieg mir schon der Duft nach Toast und Kaffee in die Nase, und im Eßzimmer fand ich Austin, der den Tisch für unser Frühstück deckte. Er lächelte. Von dem Austin des Alptraums und auch von dem streitsüchtigen Austin unserer Auseinandersetzung am Vorabend war keine Spur zu bemerken. »Ich bin froh, daß du wieder guter Laune bist«, sagte ich.
    »Es tut mir leid, daß ich dich heute nacht gestört habe, alter Freund«, erwiderte er mit gesenktem Blick. »Offenbar habe ich mich selbst mit dieser alten Geschichte weit mehr aus der Ruhe gebracht als dich.«
    »Du hast jedenfalls wirklich einen sehr erschrockenen Eindruck gemacht. Kannst du dich erinnern, daß du von Rache und Strafe und Gerechtigkeit geredet hast?«
    Er wandte sich ab, um sich um den Kaffee zu kümmern. »Ich hatte einen Alptraum von Gambrill, dem Steinmetzen der Kathedrale. Erinnerst du dich, daß er einen Wanderhandwerker beschäftigte, der in den Verdacht geriet, in den Mord verwickelt zu sein? Er hieß Limbrick; viele Jahre zuvor war sein Vater bei einem Unfall auf dem Dach der Kathedrale ums Leben gekommen, bei dem auch Gambrill schwer verletzt worden war und ein Auge verloren hatte. Seine Witwe hatte damals behauptet, daß die beiden Männer miteinander gestritten hätten, und sie beschuldigte Gambrill, ihren Mann getötet zu haben.«
    »Lieber Himmel«, rief ich fröhlich, setzte mich nieder und begann, mich über mein Frühstück herzumachen. »Was ist das doch für eine mörderische kleine Stadt! Dann war sie wohl die Frau, von der du heute nacht geredet hast?«
    Er sah erschrocken auf. »Die Frau? Welche Frau? Was habe ich gesagt?«
    »Das war nicht so leicht zu verstehen. Du hast von einer ›Sie‹ geredet, die unbedingt jemands Rechnung begleichen wollte. War das die Mutter des jungen Mannes?«
    »Die Mutter des jungen Mannes?« wiederholte er. »Was meinst du denn damit?«
    Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen. »Limbricks Witwe, natürlich. Die Mutter des jungen Handwerkers.«
    »Ach so«, gab er zurück. »Ja, die muß es wohl gewesen sein. Sie hatte jahrelang über den Tod ihres Mannes nachgebrütet und ihren Sohn gedrängt, ihn zu rächen.«
    Während wir hastig das Frühstück einnahmen, weil Austin bereits Gefahr lief, zu spät in die Schule zu kommen, erklärte ich,

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