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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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jungen Domchorvikare nicht ablenken zu lassen. Aber nun sah er oft, wie Gambrill wie verzaubert dastand und dem Chor lauschte, oder er traf ihn singend oder pfeifend an, wodurch seine eigene Liebe zur Musik von neuem erwachte.
    Und dann erzählte ihm Gambrill eines Tages, daß ein Neffe seiner Frau ein begabter Sänger sei und daß die Familie wünsche, daß er in die Chorschule eintreten und seine Erziehung mit dem Entgelt für seinen Dienst im Chor bezahlt werden solle. Burgoyne lehnte es ab, der Familie in dieser Sache behilflich zu sein, und erklärte, diese Angelegenheit falle nicht in seine Amtszuständigkeit. Ein oder zwei Tage später jedoch traf er Gambrill mit dem Jungen auf dem Domplatz. Der Knabe wurde ihm vorgestellt, und aus irgendeinem Grund änderte Burgoyne seine Meinung und versprach, den Kantor dazu zu überreden, den Jungen in die Chorschule aufzunehmen. Der Kantor muß von Burgoynes Anliegen sehr überrascht gewesen sein, zeigte sich aber vom Gesang des Knaben so beeindruckt, daß er ihm ein Stipendium zukommen ließ, so daß nun für seine Unterbringung und Ernährung gesorgt war. Er wurde in einem Teil der Schule untergebracht, der sich praktischerweise gleich neben dem Haus von Gambrill befand, dem alten Torhaus auf der selben Seite des Domplatzes.
    War der Kantor wegen Burgoynes Gesinnungswechsel schon überrascht gewesen, so bekam er bald noch mehr Grund zum Staunen, denn von diesem Augenblick an überließ sich Burgoyne seiner leidenschaftlichen Liebe zur Musik mit der ganzen Kraft seiner strengen Persönlichkeit. Er begann, sich in der Kathedrale herumzudrücken, um stundenlang dem Chor beim Üben zuzuhören, und darüber seine Pflichten zu vernachlässigen. Sein Lieblingsplatz war die Orgelempore, von wo aus er auf den Chor hinuntersehen konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Er bemühte sich, die Freundschaft des Kantors zu gewinnen, den er vorher als Mann von niedrigem Stand verachtet hatte. Auch ließ er Instrumente und Partituren aus London kommen und wurde eine Art Patron der Chorschule. Er und der Kantor wurden schließlich so gute Freunde, daß der Kantor ihm seine Schlüssel überließ und er kommen und gehen konnte, wie es ihm beliebte.
    Und all dies fand statt, während Burgoyne in seiner Eigenschaft als Schatzmeister die größten Anstrengungen unternahm, um das Geld für die Restaurierungsarbeiten aufzutreiben, die er und Gambrill planten. Er erhöhte die Pachtzinsen und verfolgte die Schuldner der Stiftung mit der ganzen Härte des Gesetzes. Und dann verfiel er auf seinen Meisterstreich, nämlich die Schule der Domchorvikare zu schließen.«
    »Wenn er aber doch die Musik so sehr liebte«, warf Mrs. Locard ein, »ist es dann nicht seltsam, daß er so etwas tun wollte?«
    »Das ist es allerdings, und Dr. Sheldrick vermutet deshalb, daß sein Wunsch, die Chorschule zu schließen, aus der Erkenntnis erwuchs, daß sie für ihn selbst eine ebenso große Versuchung darstellte wie für alle anderen Menschen auch. Er wußte, daß sein Vorschlag auf großen Widerstand stoßen würde. Deshalb bemühte er sich, bevor er ihn offen darlegte, eine Mehrheit im Domkapitel zu gewinnen. Er machte sich dran, an das schlummernde Gewissen einiger seiner Kollegen zu appellieren, indem er auf diverse kleine, persönliche Verfehlungen hinwies, und, wenn sie sich widerspenstig zeigten, daran zu erinnern, wie diese kleinen Sünden sich im grellen Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit ausnehmen würden.«
    Dr. Sisterson lächelte, und als er sah, daß ich neugierig war, erklärte er: »Dr. Sheldrick ist sehr großzügig bei der Beurteilung von Burgoynes Verhalten.«
    »Finden Sie? Mir erscheint er sehr bewundernswert zu sein.«
    »Meinen Sie nicht«, gab er zu bedenken, »daß seine hochgeschraubten Ansprüche an die weltlichen Angelegenheiten seiner Kollegen eine Art von Arroganz war?«
    »Nein, das glaube ich nicht«, antwortete ich und fühlte mich seltsam angegriffen. »Ich habe den Eindruck, daß er ein prinzipientreuer und asketischer Mann war.«
    »Ich könnte mir vorstellen«, warf Mrs. Locard versöhnlich ein, »daß er auf Grund seiner wohlhabenden und privilegierten Herkunft wenig Verständnis für seine Kollegen an den Tag legte, die derartige Vorteile nicht hatten.«
    Dr. Sisterson und ich nickten, und ich fuhr fort: »Die Ereignisse kamen seinen Wünschen entgegen. Im Frühjahr des Jahres vor seinem Tod vergrößerte sich der Riß im Turm, der schon vor Jahrzehnten entstanden war, und

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