Die schwarze Kathedrale
selbst die hartnäckigsten unter den Domherren mußten nun einsehen, daß ein schwerer Sturm ihn jederzeit zum Einsturz bringen konnte. Jetzt legte Burgoyne dem Domkapitel seinen Vorschlag vor, die Chorschule zu opfern, um die Kathedrale zu retten. Er verlangte eine vollständige Restaurierung des Turmes und bewies, daß die Kosten fast vollständig durch den Verkauf des Vermögens der Schule gedeckt werden könnten, das aus einem Herrenhaus und drei Farmen in dem Dorf Compton Monachorum bestand. Gegen ihn waren die mächtigsten unter den Domherren, Freeth, der Bibliothekar Hollingrake, der alte Dekan, der Domkustos und der Kantor, der argumentierte, daß der Ruf der Kathedrale als Stätte der Musik eine ihrer stolzesten Errungenschaften sei. Burgoyne hatte jedoch diejenigen Domherren auf seine Seite gebracht, an deren Gewissen er gerührt hatte, und so wurde sein Vorschlag nach heftigstem Streit mit knapper Mehrheit angenommen. Freeth und Hollingrake jedoch fälschten eine Schenkungsurkunde – die Ihr Mann, Mrs. Locard, mir heute nachmittag freundlicherweise gezeigt hat. Dadurch wurde es Burgoyne schließlich doch unmöglich gemacht, die Chorschule zu schließen.«
»Wir sind nicht ganz sicher, daß sie die Urkunde gefälscht haben«, widersprach Dr. Sisterson. »Es ist auch möglich, daß sie eine frühere Fälschung gefunden und für echt gehalten haben. Aber selbst wenn Freeth sie gefälscht haben sollte, dann kann man immer noch nicht sagen, was seine wirklichen Motive waren.«
»Sie waren ziemlich verachtenswert«, sagte ich zu den beiden Damen gewandt. »Sehen Sie, als Freeth selbst wenige Jahre später Dekan wurde, benutzte er die gefälschte Urkunde dazu, die Chorschule zu schließen und ihr Vermögen für seinen persönlichen Gebrauch einzuziehen.«
»Wie schändlich«, murmelte Mrs. Sisterson.
»Ist es nicht denkbar«, wandte Mrs. Locard ein, »daß er den Bürgerkrieg vorausgesehen hat und das Vermögen der Stiftung davor bewahren wollte, vom Parlament eingezogen zu werden?«
»Sie sind sehr großmütig«, sagte ich. »Aber alles, was wir von ihm wissen, zeigt, wie außerordentlich geldgierig er war.«
Dr. Sisterson sah seine schlafenden Kinder an und lächelte. »Als Vater einer großen Familie fällt es mir schwer, ihn ganz und gar zu verdammen, selbst wenn seine Motive ausschließlich weltlicher Natur waren.«
Im ersten Moment erschrak ich, aber dann wurde mir klar, daß er im Scherz sprach. Ich fuhr fort: »Zurück zu Burgoynes Geschichte. Er war also von Freeth übertrumpft worden, und er war zornig, aber er gab den Kampf nicht auf, und bald darauf konnte er seine eigene Trumpfkarte ausspielen. Es gelang ihm nämlich, seinen Onkel und einige andere Familienmitglieder dazu zu bewegen, ihm die Hälfte des benötigten Geldes zu versprechen. Ein Teil des Betrags sollte für einen Gedenkstein in der Kathedrale verwendet werden, der dem vorigen Earl, seinem Großvater, gewidmet sein sollte.«
»Die Burgoyne-Gedenktafel!« rief Mrs. Locard aus.
»Richtig«, stimmte ich zu. »Als Burgoyne dem Domkapitel diesen neuen Vorschlag unterbreitete, erkannte Freeth sofort, daß die Verbindung der Gedenktafel mit einer großen Spende für die Restaurierung der Kathedrale einen unanfechtbaren Anspruch Burgoynes auf das Amt des Dekans begründen würde. Dennoch schien es unmöglich, ein solches Geschenk zurückzuweisen. Doch die Domherren schreckten noch immer vor dem Anteil der Ausgaben zurück, den sie aus eigener Tasche bezahlen sollten. Dann tat Burgoyne das, was sich nach Dr. Sheldricks Darstellung als sein entscheidender Fehler erweisen sollte: Er beauftragte Gambrill, eine neue Kostenberechnung für das Mindestmaß an Arbeit aufzustellen, das notwendig sein würde, um den Turm zu retten. Gambrill war entsetzt über diesen Betrug seines Bundesgenossen. Er bestand darauf, den Camerarius in den Turm hinaufzuführen, um ihm zu zeigen, wie lose viele der Balken waren, indem er mit der Hand daran rüttelte, und erklärte, wie leicht es war, einen davon zum Absturz zu bringen. Burgoyne jedoch blieb bei seinem Entschluß. Der Steinmetz ließ sich erst besänftigen, als er von dem geplanten Gedenkstein hörte, der natürlich von ihm angefertigt werden und – wie er sich vornahm – sein Meisterwerk werden sollte.
Nun ließ Burgoyne Gambrill vor dem Domkapitel erläutern, daß der Einsturz des Turmes nicht nur die Kathedrale zerstören würde – eine Aussicht, die die Domherren mit einer gewissen
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