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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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entsetzlich war, daß es alles erschütterte, woran er je geglaubt hatte.«
    »Wirklich? Das behauptet Dr. Sheldrick?« Dr. Sisterson sah Mrs. Locard an und fragte: »Und was soll das für ein Geheimnis gewesen sein?«
    »Die Bestechlichkeit von Freeth. Burgoyne war von Abscheu überwältigt, als er feststellte, wie korrupt Freeth war.«
    »Ach so«, sagte Dr. Sisterson und lehnte sich lächelnd zurück. Ich fragte mich, ob er wohl etwas anderes erwartet hatte. »Aber hatte er Freeth denn nicht schon vorher für geldgierig und korrupt gehalten?« wollte er wissen.
    »Das wohl, aber das Ausmaß und die Vorsätzlichkeit schockierten ihn maßlos. Und wie Sheldrick behauptet, stellte er auch fest, daß Gambrill, dem er vertraut hatte, tief in die Unterschlagungen von Freeth verstrickt war.« Es war erkennbar, daß Dr. Sisterson irgendwie skeptisch reagierte, und auch ich fand Dr. Sheldricks Enthüllungen wenig überzeugend. »Wodurch wurde dann Ihrer Meinung nach diese plötzliche Änderung seines Verhaltens ausgelöst?«
    »Ich schätze, daß er tatsächlich etwas entdeckte, was ihn zutiefst aufwühlte, aber ich glaube nicht, daß es Freeths finanzielle Untreue war.«
    »Was kann es sonst gewesen sein? Was meinen Sie?«
    Er sah nach den beiden Frauen, die in diesem Augenblick ganz von dem Jungen in Mrs. Sistersons Armen in Anspruch genommen waren. »Ich kann auch nur meine Schlüsse ziehen«, antwortete er leise. »Und ich möchte niemanden verleumden, nicht einmal einen Mann, der schon seit mehr als zwei Jahrhunderten tot ist.«
    Ich sah ihn überrascht an, aber er schürzte die Lippen und schüttelte leicht den Kopf, um mir zu bedeuten, daß er über dieses Thema in Anwesenheit der Damen nicht reden konnte. Also fuhr ich fort: »Im April dieses Jahres unternahm Burgoyne eine lange Reise nach London. Als er zurückkam, gestand er Gambrill, daß er den Auftrag für die Gedenktafel an italienische Handwerker in der Hauptstadt vergeben habe. Gambrill war zutiefst verärgert über diese Mißachtung seiner Handwerkskunst.
    Ein oder zwei Tage später erklärte er, daß der Vierungsturm so baufällig geworden sei, daß er den Zugang für jedermann – außer für ihn selbst und seine Arbeiter – sperren müsse. Burgoyne sah darin einen Versuch, ihn zu zwingen, Geld für die Reparatur des Turmes zur Verfügung zu stellen, und war wütend. Da er die Sachkunde des Steinmetzen jedoch nicht anzweifeln konnte, mußte er sich mit der Maßnahme abfinden. Also verschloß Gambrill die Turmtreppe mit einer massiven Tür, zu der nur er und einer der Domherren einen Schlüssel besaßen.
    War Gambrill bereits durch Burgoynes Entschluß verärgert, die Gedenktafel in London anfertigen zu lassen, so war diese Verstimmung jedoch nichts im Vergleich zu dem Zorn, der ihn wenige Wochen später erfaßte, als er erfuhr, wo Burgoyne die Tafel anbringen lassen wollte: an der auffallendsten Stelle, die überhaupt möglich war, nämlich direkt an der Chorseite der Vierung. Zu diesem Zweck wollte Burgoyne den Lettner entfernen lassen. Natürlich protestierten die anderen Domherren, doch hatte sich inzwischen die politische Situation entscheidend zu Burgoynes Gunsten verändert: Erzbischof Laud befand sich im Tower und sollte in Kürze hingerichtet werden, und die siegreichen Calvinisten bestanden darauf, daß alle Schranken zwischen der Gemeinde und dem amtierenden Priester entfernt wurden. Das Domkapitel konnte nichts tun. Als Gambrill von Limbrick erfuhr, was Burgoyne angeordnet hatte, war er entsetzt.«
    »Es ist nur zu verständlich, daß er entsetzt war«, sagte Dr. Sisterson mit Wärme. »Das Abreißen eines so alten und schönen Teils der Kathedrale, die er liebte und deren Erhaltung er sein Leben gewidmet und sogar ein Auge geopfert hatte, mußte ihm wie eine brutale Entweihung erscheinen.«
    »Dr. Sheldrick hat eine vollkommen andere Erklärung dafür. Er behauptet, daß Gambrill heimlich Katholik war, wie viele andere auch in dieser verschlafenen, alten Stadt. Dadurch befand er sich in ständiger Gefahr, finanziell ruiniert oder gar eingekerkert zu werden; es bedeutete aber auch, daß die Kathedrale in seinen Augen immer noch eine katholische Kirche war, die unrechtmäßig in die Hände von Männern gefallen war, die alles zu zerstören suchten, was sie für ihn repräsentierte. Schließlich kam es zu einer skandalösen Szene in der Kathedrale, als der Steinmetz dem Schatzmeister entgegentrat und ihn lautstark wegen des Schadens beschimpfte,

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