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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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den er anrichtete. Burgoyne stampfte aus dem Gebäude, doch Gambrill verfolgte ihn über den Domplatz und bis zur Hintertür seines Hauses und hörte nicht auf, ihn anzubrüllen, bis Limbrick einschritt und ihn fortzog. In diesem Augenblick wurde vermutlich das Schicksal beider Männer besiegelt.
    Gambrill hatte natürlich nur die Wahl, entweder von seinem Posten zurückzutreten oder zu tun, was Burgoyne angeordnet hatte. Und da er eine Familie zu ernähren hatte, konnte er sich die große Geste nicht leisten. Burgoyne hätte Gambrill natürlich gern entlassen, aber es gab keinen anderen Steinmetz in der ganzen Stadt, dem die Arbeit anvertraut werden konnte; Burgoyne mußte anerkennen, daß Gambrill ein sorgfältiger und fähiger Handwerker war.
    Gambrill riß also den Lettner ab und ersetzte ihn durch eine Holzwand, um das Hauptschiff unter Verschluß zu halten, solange der Turm noch nicht repariert war. Nun wurde Limbrick zum Mittelsmann, mit dessen Hilfe Burgoyne und Gambrill jeden direkten Kontakt miteinander vermieden. Davon ging man jedenfalls aus. Erst viel später, als die Dinge den bekannten Gang genommen hatten, äußerten einige Leute die Meinung, daß Limbrick den Streit zwischen den beiden Männern in Wirklichkeit zu seinem eigenen Nutzen geschürt habe, wobei er geschickt den Eindruck erweckt habe, das Gegenteil zu tun.
    Von nun an kam Burgoyne nie mehr in die Kathedrale, um Gambrill und seinen Leuten bei der Arbeit zuzusehen. Statt dessen nahm er seine alte Angewohnheit wieder auf, sich nach Einbruch der Dunkelheit in das Gebäude zu begeben. Und obwohl man allgemein annahm, daß er das tat, um Gambrills Arbeit zu überprüfen, ohne ihm dabei begegnen zu müssen, fiel es doch auf, daß seine nächtlichen Besuche länger und länger andauerten und daß er dem ersten Küster, Claggett, den großen Schlüssel häufig erst in der Morgendämmerung zurückbrachte; der alte Mann war oft die ganze Nacht lang wach, weil er ernstlich krank war.
    Burgoynes Betragen gab Anlaß zu immer mehr Spekulationen. Seine Haushälterin beschrieb später, daß er nächtelang aufblieb, in seinem Zimmer auf- und abging oder auf dem Domplatz herumirrte, so als ringe er mit einer entsetzlichen Zwangslage. Später – als die Leute erfuhren, was sie zu dieser Zeit noch nicht wußten – behaupteten einige der Anwohner, sie hätten ihn viele Male auf der Nordseite des Domplatzes stehen und über die hintere Gartenmauer in die Fenster der Häuser starren sehen, deren Vorderseite auf die High Street hinausging. Einige behaupteten auch, er habe in Gambrills Haus hineingeschaut und mit sich gekämpft, ob er dessen Glück und das seiner Frau und seiner Kinder zerstören solle. Andere sagten, er sei einsam und eifersüchtig gewesen, und die häusliche Zufriedenheit seines Feindes habe ihn verärgert. Wieder andere vermuteten noch ganz andere Motive.
    Das alles führte zwei Wochen vor dem großen Sturm zum Eklat. An jenem Sonntag predigte Burgoyne beim Hauptgottesdienst in der Kathedrale. Als er die Kanzel bestieg, sah er bleich und ausgemergelt aus, und die Gemeinde begann zu tuscheln, denn jeder wußte, wie seltsam er sich in den vergangenen Wochen verhalten hatte. Aber als er zu sprechen ansetzte, war seine Stimme kräftig, und er redete flüssig und ohne zu stocken. Er begann damit, gegen die Sünde der Korruption zu wettern, und schilderte leidenschaftlich die Verdammnis, die einen Mann erwarte, der der Versuchung erlag und ohne Reue in seiner Sünde verharrte. Und dann verkündete er, daß er einen bestimmten Mann meine, der in diesem Augenblick unter den Zuhörern weile und den er für seine heimlichen Vergehen anklage – Vergehen, die er allerdings nicht näher erklärte. Er schien so sehr von der verborgenen Bedeutung seiner Rede erfüllt zu sein, daß einige Mitglieder der Gemeinde glaubten, Zeichen einer geistigen Verwirrung zu erkennen. Vieles von dem, was er sagte, war für die Zuhörer unverständlich, aber sie behielten seine Worte in Erinnerung: ›Unter uns ist einer, der das Haus Gottes mit Sünde und Stolz im Herzen betreten hat, obwohl er äußerlich das Kleid der Heiligkeit trägt. Er allein in dieser Versammlung weiß, welche Finsternis er in den geheimen Nischen seines Wesens nährt. Er allein weiß, wie weit er vom Wege abgekommen ist und einen verderblichen Pfad betreten hat, der in einen Schweinestall voll des widerwärtigsten Unrates führt!‹
    Als Burgoyne von der Kanzel herabstieg, ließ er die Gemeinde und

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