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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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ob das noch ein Spiel war oder ob er mich tatsächlich anklagte. Konnte er meine Gedanken lesen? Ich mußte an die Versuchung denken, mit der ich an diesem Nachmittag gekämpft hatte, und spürte, wie ich rot wurde.
    »Ich … nein.«
    »Sie nehmen die Privilegien des geistlichen Standes für sich in Anspruch, und doch waren Sie der Anstifter zum Mord an William Burgoyne, weil Sie Ihren Rivalen für das Amt des Dekans beseitigen wollten. Dafür alleine könnte ich Sie vor Gericht stellen und aufhängen lassen, und keiner in der Stadt würde Ihnen auch nur eine Träne nachweinen!«
    »Ich habe seinen Tod nicht geplant.«
    »Wollen Sie etwa behaupten, es wäre nicht Ihr sehnlichster Wunsch gewesen, ihn zu vernichten?«
    »Ja, ich habe ihn gehaßt, weil er wegen all der unfairen Vorteile, die er genoß, an meiner Stelle Dekan geworden wäre. Und ich habe ihn gehaßt, weil er klüger war als ich!« Ich erschrak. Was hatte mich bewogen, das zu sagen?
    »Wenn Sie darauf bestehen, alle umzubringen, die klüger sind als Sie, werden Sie sehr viel zu tun haben.«
    Bevor ich mich noch verteidigen konnte, erklärte mein Gastgeber, immer noch in der Rolle des jungen Offiziers: »Leider muß ich jedoch feststellen, daß ich mich verkalkuliert habe.
    Die Bürger sind erbittert über die Behandlung des Mannes, den sie als ihren Wortführer betrachten, sosehr sie ihn auch persönlich verachten. Und so versammelt sich später an diesem Tag eine zornige Volksmenge auf dem Domplatz, um ihn zu retten. Wieder muß ich meinen Leuten befehlen, zu schießen, und diesmal gibt es mehrere Verletzte. Ich bin mir darüber im klaren, daß die Bürger einen neuen, größeren Angriff organisieren und meine Leute überwältigen werden. Nun frage ich Sie, Sir, was soll ich tun?«
    »Ich gebe zu, daß Sie sich in einer sehr schwierigen Lage befinden. Was haben Sie getan?«
    »Ich muß einen Weg finden, den Dekan aus dem Weg zu räumen, aber ich muß es auf eine Weise tun, die ihn in den Augen seiner Mitbürger diskreditiert. Ich weiß, daß sie ihn als geldgierig und korrupt verachten und im Zusammenhang mit der Burgoyne-Affäre verdächtigen, sogar noch viel Schlimmeres getan zu haben. Daran muß ich sie erinnern. Irgendwie muß ich den Dekan Freeth, der ein Symbol des Widerstands geworden ist, von dem Privatmann Freeth trennen, den sie verabscheuen. Er muß für seine bekannten Schwächen der öffentlichen Schande ausgeliefert werden. Ich weiß, daß Hollingrake, der Schatzmeister, sein Feind ist, weil er und Freeth früher gemeinsame Sache gemacht und sich dann zerstritten haben. Ein ehemaliger Verbündeter ist – ebenso wie ein ehemaliger Geliebter – immer besonders bitter und deshalb am schnellsten zur Rache bereit. Ich lasse ihn heimlich zu mir bringen.«
    »Herr Camerarius«, richtete er das Wort plötzlich an Austin, so daß dieser zusammenfuhr, »ist Ihnen klar, daß die Handlungsweise des Dekans Freeth das ganze Domkapitel in Gefahr bringt? In seiner unbotmäßigen Gier nach Amt und Würden beschwört er den Zorn des Parlaments auf die Häupter sämtlicher Domherren herauf.«
    Zu meiner Erleichterung starrte Austin den alten Herrn nur mit offenem Munde an. Ich hielt mich besser als er. »Also hören Sie«, protestierte ich. »Sie wollen doch wohl nicht sagen, daß Hollingrake mit in die Sache verwickelt war?«
    Mr. Stonex in seiner Rolle als Offizier hielt die Augen fest auf Austin gerichtet: »Die Kathedrale mit all ihren karitativen Aufgaben wird von diesem Ehrgeizling rücksichtslos aufs Spiel gesetzt. Er ist ein Mann ohne alle Skrupel, der selbst seine eigene Familie beraubt hat.«
    Austin starrte unseren Gastgeber an, und in seinem Gesicht stand nacktes Entsetzen. Ich begann mich zu fragen, ob er nicht doch ein besserer Schauspieler war als ich. Und was sollte das heißen, daß Freeth seine eigene Familie beraubt habe? Davon hatte ich noch nie etwas gehört.
    »Ich bitte Sie, mir zu helfen, diesen Mann unschädlich zu machen!«
    »Sie meinen, es habe eine Verschwörung bestanden?« rief ich aus.
    Unser alter Gastgeber wandte mir seine kalten, jugendlichen Augen zu. »Die Situation rechtfertigt solche Schritte. Diese Stadt befindet sich mitten im Bürgerkrieg, und wenn mir die öffentliche Ordnung entgleitet, wird das den Tod vieler Menschen zur Folge haben; und den Verlust der Stadt für die Sache des Parlaments. Unter solchen Umständen ist der Tod eines einzelnen gerechtfertigt.«
    Ich erschauerte angesichts der Kaltblütigkeit, mit

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