Die Schwarze Keltin
sie über das blaßgoldeneisblaue Küstengewässer in das nebelblaue Anglesey entführen, und der Kanonikus Meirion würde endlich befreit ausatmen können.
Als sie den Rand der Salzsümpfe erreicht hatten, wendeten sie sich nach Westen. Rechts von ihnen warf die glitzernde Fläche des Niedrigwassers das Sonnenlicht zurück, links waren grüne Felder und Baumgruppen zu erkennen, die sich Stufe um Stufe die Hügel hinaufzogen. Ein- oder zweimal durchquerten sie spritzend kleine Wasserläufe, die aus dem Marschland hinab zum Meer sprudelten. Schon nach einer Stunde hatten sie die hohe Holzbefestigung von Owains Herrschersitz Aber erreicht, und die Wächter und Diener am Tor erkannten sie an ihren leuchtenden Bannern und riefen ihre Ankunft nach hinten durch.
Aus allen Gebäuden, die sich zwischen den Palisaden von Owains großem Fürstenhof befanden, aus den Ställen, aus dem Zeughaus und dem Saalbau und den aufgereihten Unterkünften für Gäste strömten Gesinde und Hofstaat herbei, um den Fürsten zu Hause willkommen zu heißen und seinen Gästen den gebührenden Empfang zu bereiten. Knechte beeilten sich, um die Pferde entgegenzunehmen, Knappen kamen mit Krügen und Trinkhörnern. Hywel ab Owain, der die Reise über sorgfältig gastfreundliche Aufmerksamkeiten ausgeteilt und sich von Reiter zu Reiter bewegt hatte, um im Namen seines Vaters Höflichkeiten zu erweisen und in dessen Auftrag zweifelsohne dabei von allen Spannungen Kenntnis bekommen hatte, die unter den Mitreisenden herrschten, war als erster aus dem Sattel und lief direkt auf den Fürsten zu, um ihm in einer eleganten Geste, voller Respekt des Sohnes vor dem Vater, die Zügel abzunehmen, dem wartenden Pferdeknecht zu übergeben und der Dame, die zur Begrüßung ihres Herrn aus dem hölzernen Saalbau gekommen war, die Hand zu küssen. Hywels leibliche Mutter war sie nicht! Die beiden kleinen Jungen, die nach ihr die Treppe vom Eingang zum Saal herabgesprungen kamen, gehörten zu ihr, flinke, dunkle Kobolde von etwa sieben und zehn Jahren, die sich mit schrillem, aufgeregtem Geschrei mit einem Knäuel von Hunden zu ihren Füßen balgten. Owains Frau war Tochter eines Fürsten von Arwystli aus dem mittleren Wales, und ihre lebhaften Söhne besaßen ihre kräftigen Farben. Nach ihnen kam ein junger Mann von vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahren mit mehr Reserviertheit die Stufen herab und ging mit Autorität und Zutrauen stracks auf Owain zu, der ihn mit einer Zuneigung umarmte, die keinen Zweifel offen ließ. Dieser Sohn besaß die helle Haarfarbe seines Vaters, vertieft zu reinem Gold, und das eindrucksvolle Ebenmaß der Gesichtszüge erschien hier verfeinert zu bestürzender Schönheit. Groß, in aufrechter Haltung, bewegte er sich mit der Anmut eines Athleten. Er konnte in keiner Gesellschaft auftreten, ohne aufzufallen, und sogar auf diese Entfernung wirkte das strahlende nördliche Blau seiner Augen so klar, als ob Saphirkristalle im Licht der Sonne leuchteten. Bruder Mark sah ihn und hielt den Atem an.
»Sein Sohn?« fragte er in einem ehrfürchtigen Flüstern.
»Aber nicht ihrer«, sagte Cadfael. »Noch einer wie Hywel.«
»Davon kann es auf der Welt nicht viele geben«, sagte Mark und starrte. Schönheit nahm er an anderen Menschen mit einer besonderen neidlosen Freude auf, war er sich selbst doch immer als der schlichteste und unbedeutendste Sterbliche vorgekommen.
»Den da gibt's nur einmal, Junge, und das weißt du auch.
Schließlich ist jeder Mensch für sich einmalig, dunkel oder blond. Allerdings«, gab Cadfael zu und bedachte die Einzigartigkeit der körperlichen Hülle, wenn nicht der sie bewohnenden Seele, »kommen wir doch nah an diesen hier heran, daheim in Shrewsbury. Der Junge hier heißt Rhun. Du könntest dir unseren Bruder Rhun anschauen, seit die heilige Winifred ihn vollkommen gemacht hat, und einen von den beiden für einen wunderbaren Doppelgänger des anderen halten.«
Sogar derselbe Name! Ja, dachte Mark und rief sich mit Vergnügen den jüngsten der Brüder in Erinnerung, die er in Shrewsbury gekannt hatte, so sollte das Abbild eines Fürsten, sein Sohn, ein Prinz, aussehen – und nicht weniger auch ein Heiliger oder doch der Schützling einer Heiligen. Das Gesicht strahlend und klar, vollständig offen und heiter. Kein Wunder, daß sein Vater in ihm das Wunschkind sah und ihn noch mehr als die anderen liebte.
»Ich frage mich«, sagte Cadfael halb zu sich selbst, ohne zu wissen, daß er dabei einen Schatten
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