Die Schwarze Keltin
Bruder Mark erfrischt und nachdenklich und grübelte über alles nach, das ihnen seit ihrer Ankunft in Aber zugestoßen war. Und schließlich sagte er:
»Was mich am meisten erstaunt hat, war, wie ähnlich die beiden sich doch sind – die jungen Gefolgsleute von Owain und Cadwaladr. Ich meine damit nicht nur, wie sehr sie sich vom Alter, vom Wuchs und ihren Gesichtszügen her ähneln, sondern die gleiche Leidenschaft, die in ihnen steckt. Cadfael, hier in Wales versteht man unter Treue zum Lehnsherrn noch etwas anderes als unter den Normannen. Jedenfalls ist das mein Eindruck. Sie sind Gegner, dein Cuhelyn und dieser Gwion, und doch könnten sie Brüder sein.«
»Und wie Brüder das tun sollten und es gelegentlich versäumen, mögen und achten die beiden sich. Was sie aber nicht davon abhalten könnte«, räumte Cadfael ein, »sich gegenseitig umzubringen, falls ihre jeweiligen Herren je miteinander kämpfen sollten.«
»Genau das kommt mir so falsch vor«, sagte Mark ernsthaft.
»Wie kann einer den anderen anschauen und in ihm nicht sein Spiegelbild sehen?
Um so mehr, als die beiden jetzt an einem Hof zusammen gelebt und gelernt haben, sich zu mögen?«
»Sie sind wie Zwillinge, der eine als Linkshänder, der andere als Rechtshänder geboren, zugleich Doppelgänger und Gegensätze. Sie könnten ohne Böswilligkeit töten, und ohne bösen Willen sterben. Gott verhüte«, sagte Cadfael, »daß es je dazu kommen sollte. Doch eins ist sicher. Immer, wenn Gwion, sein Spiegelbild, sich Bledri ap Rhys nähert, wird Cuhelyn jeden Augenblick und jeden Wortwechsel zwischen den beiden verfolgen. Denn ich glaube, daß er über Cadwaladrs persönlichen Gesandten mehr weiß, als er uns bisher gesagt hat.«
Beim Abendmahl in Owains Festsaal gab es gut zu essen und Met und Ale im Überfluß und ausgezeichnete Harfenmusik.
Hywel ab Owain sang dazu aus dem Stegreif über das schöne und geschichtsträchtige Land Gwynedd, und für eine halbe Stunde war Cadfael aufsässig genug, um keinen Gedanken mehr an seinen Orden zu verschwenden, sondern den Versen weit in die Berge oberhalb von Aber und über das spiegelklare Meer zur königlichen Begräbnisstätte bei Llanfaes auf Anglesey zu folgen. In seiner Jugend hatten seine Abenteuerfahrten alle nach Osten geführt, doch in reiferen Jahren hatte er sich mit Augen und Herz mehr nach Westen gewandt. Der Himmel unserer Vorstellungen und Legenden, jedes Gefilde der Seligen liegt im Westen, zumindest für Menschen keltischer Herkunft.
Cadfael empfand diese Gedanken als angemessen für einen Mann an der Schwelle zum Alter, doch hier, am Fürstenhof von Gwynedd, fühlte er sich nicht wirklich alt.
Noch waren seine Sinne allerdings weder betäubt noch abgestumpft, auch wenn er seinen Träumen nachhing, denn er war aufmerksam genug, um den Augenblick zu entdecken, in dem Bledri einen Arm um Heledds Taille legte, als sie ihm Met auftischte. Noch war ihm die eisigstrenge Miene entgangen, die der Domherr Meirion bei diesem Anblick aufsetzte, oder der Mutwillen, mit dem es Heledd, die Meirions bösen Blick sehr wohl bemerkt hatte, versäumte, sich sofort aus Bledris Griff zu lösen und ihm mit einem Lächeln etwas ins Ohr sagte, das ein Kompliment, genauso aber auch ein Fluch hätte sein können, obwohl es keinen Zweifel daran geben konnte, wie es ihr Vater aufgenommen hatte. Ja, wenn das Mädchen mit dem Feuer spielte, wer war denn schuld daran? Sie hatte mit ihrem Vater viele Jahre treu und liebevoll zusammengelebt. Er hätte sie besser kennen müssen, genug um ihr zu trauen. Für Bledri ap Rhys hatte sie keine andere Verwendung, als sich an dem Vater zu rächen, dem es so eilig war, sie loszuwerden.
Wenn Cadfael es genau bedachte, schien auch Bledri ap Rhys kaum ernsthaft an Heledd interessiert zu sein. Er machte die Geste der Bewunderung und Verehrung fast beiläufig, als ob sie nach der Sitte von ihm erwartet würde und obgleich er das mit einem Lächeln und einem Kompliment begleitete, ließ er Heledd in dem Augenblick los, als sie sich abwandte, und schaute wieder nach einem bestimmten jungen Mann, der unter den adligen Leibwächtern an einem Tisch weiter hinten saß.
Gwion, der, als letzte, unbeugsame Geisel seiner unbedingten Treue zu Cadwaladr nicht abschwören mochte, saß still unter den Männern, die seinesgleichen waren und doch seine Feinde. Einige, wie Cuhelyn, waren seine Freunde geworden.
Das ganze Fest über blieb er für sich, verbarg seine Gedanken und sogar seine
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