Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
war, wenn er sich das Knie aufgeschürft hatte und Trost brauchte oder wenn er sich einsam fühlte oder wenn er mit seinem neuesten kleinen Abenteuer angeben wollte. Nicht zu ihnen war er gekommen, sondern immer zu Daemon.
Daemon, der sich Zeit genommen hatte, um ihm zuzuhören. Daemon, der ihm reiten, fechten, schwimmen und tanzen beigebracht hatte. Daemon, der ihm geduldig immer und immer wieder dasselbe Buch vorgelesen hatte, weil es Kartanes Lieblingsgeschichte war. Daemon, der lange, ausgedehnte Spaziergänge mit ihm unternahm und nie sein Missfallen darüber äußerte, dass ihm ständig ein kleiner Junge an den Fersen klebte. Daemon, der seinen Cousin gehalten, in den Armen gewiegt und getröstet hatte, wenn er weinte. Daemon, der trotz des Verbots nächtliche Streifzüge in die Küche unternommen hatte, um Kartane Obst, Brot und kalten Braten zu holen und damit den unersättlichen Hunger zu stillen, den der Junge litt, weil er unter den wachsamen Blicken seiner Mutter nie genug zu essen bekam. Daemon, den man eines Nachts erwischt und verprügelt hatte, ohne dass er verraten hätte, dass er das Essen gar nicht für sich selbst gestohlen hatte.
Daemon, dessen Vertrauen er verraten und dessen Liebe er mit einem einzigen Wort verspielt hatte.
Kartane war noch ein schlaksiger Junge gewesen, als Daemon das erste Mal an einen anderen Hof vermietet wurde. Es hatte wehgetan, den einzigen Menschen am ganzen Hof zu verlieren, dem wirklich etwas an ihm lag. Doch gleichzeitig ahnte er, dass es Ärger gab, der mit Daemon und seiner Position in der Hofhierarchie zu tun hatte. Er wusste, dass Daemon Dorothea, Hepsabah und dem Hexensabbat der Schwarzen Witwen diente, wenn auch anders als die
Gefährten und die übrigen Männer, die zu ihnen gerufen wurden. Außerdem wusste er vom Ring des Gehorsams, der einem die Kontrolle über einen Mann verlieh, selbst wenn er dunklere Juwelen trug. Er wunderte sich lediglich über Daemons Widerwillen, von einer Frau berührt zu werden, und die lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Daemon und Dorothea, die durch die Steinmauern drangen, als seien sie aus Papier, und immer bösartiger wurden. Meist endeten diese Streitereien damit, dass Dorothea den Ring benutzte und Daemon mit quälenden Schmerzen bestrafte, bis er um Vergebung flehte.
Eines Tages weigerte Daemon sich, einem von Dorotheas Hexensabbaten zu Diensten zu sein.
Dorothea berief den Ersten, Zweiten und Dritten Kreis des Hofes. An ihrer Seite saß ihr Gatte, Lanzo SaDiablo, der versoffene Frauenheld, dessen einziger Wert für sie darin bestand, dass sie durch ihn an den Namen SaDiablo gekommen war. Dann begann sie mit der Bestrafung.
Vor Angst schlotternd hatte Kartane sich hinter einem Vorhang versteckt und beobachtet, wie Daemon gegen den Ring ankämpfte, gegen die Schmerzen und die Wachen, die ihn festhielten, damit er sich nicht auf Dorothea stürzen konnte. Eine lange, qualvolle Stunde hielt er durch, bevor der Schmerz ihn schluchzend in die Knie zwang. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis er zu Dorothea kroch und sie um Vergebung anflehte. Als Dorothea endlich aufhörte, ihn mittels des Rings zu quälen, erlaubte sie es ihm nicht, auf sein Zimmer zu gehen. Sie ließ nicht zu, dass Manny ihm ein Beruhigungsmittel gab oder seinen schweißnassen Körper abwusch. Stattdessen ließ Dorothea Daemon mit Händen und Füßen an eine Säule binden und ihn knebeln, um sein gequältes Stöhnen zu dämpfen. Auf diese Weise erniedrigte sie ihn und statuierte ein Exempel für die anderen, während sie sich geruhsam den übrigen Hofangelegenheiten widmete.
Kartane zog seine Lehre aus dem Beobachteten. Beringt
zu sein war die schlimmste Form der Fremdkontrolle. Wenn Daemon den Schmerz nicht ertrug, wie sollte er es dann tun? Von da an war es für ihn von größter Bedeutung, Dorothea keinen Anlass zu geben, ihn mit einem Ring zu versehen.
In jener Nacht wurde Daemon nach einer kurzen Erholungspause befohlen, der Hexe zu dienen, der er sich zuvor verweigert hatte.
Das war die Nacht, in der zum ersten Mal die kalte Wut in Daemon aufstieg.
Unter den Blutleuten gab es zwei Arten von Wut. Heiße Wut war emotional und selbst an ihrem Siedepunkt ein oberflächliches Gefühl – die Wut, die es bei einem Streit zwischen Freunden, Liebenden und Familienangehörigen gab, die Wut des Alltags. Kalte Wut war die Wut des Juwels – tiefe, unantastbare, eisige Wut, die dem innersten Wesen eines Menschen entsprang. Sie war unversöhnlich,
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