Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
die beiden Wachen angekämpft, die dich an den Armen festhielten, und du hast das Juwel mit den Fingern
umklammert. Da gab es einen roten Blitz und die Wachen wurden zurückgeschleudert. Du warfst dich nach vorne, um den Rand des Kreises zu erreichen. Er drehte sich um und wartete. Einer der Wächter packte dich von hinten, als du nur eine Handbreit vom Rand entfernt warst. Ich glaube, wenn du die Kreislinie auch nur mit einem Finger übertreten hättest, hätte er dich mit sich fortgenommen, ohne sich weiter darum zu sorgen, ob es gut für dich wäre, ohne deine Angehörigen bei ihm zu leben.
Es gelang dir nicht. Du warst zu jung und sie waren zu stark für dich.
Also ging er. Er ging zu dem Haus, in dem du aufgewachsen bist, und zerstörte das Arbeitszimmer; zerfledderte die Bücher, zerriss die Vorhänge und zerbrach jedes einzelne Möbelstück in dem Raum. Er wurde seiner Wut nicht Herr. Als ich es schließlich wagte, die Tür zu öffnen, kniete er mit wogender Brust in der Mitte des Zimmers und versuchte, Luft zu bekommen. In seinen Augen lag der blanke Wahnsinn.
Nach einiger Zeit erhob er sich und nahm mir das Versprechen ab, mich so gut es ging um dich und deine Mutter zu kümmern. Und ich versprach es, weil du und sie mir am Herzen lagen und er immer gütig zu mir und Jo gewesen war.
Danach verschwand er. Sie nahmen dir das rote Juwel fort und legten dir an jenem Abend den Ring des Gehorsams an. Du hast dich geweigert zu essen. Man sagte mir, ich müsse dich dazu bewegen, etwas zu essen. Sie hatten viel mit dir vor und du durftest nicht dahinsiechen. Dann sperrten sie Jo in einen Metallkäfig, den sie an einen Ort stellten, wo es keinen Schatten gab, und erklärten mir, er würde erst Essen und Wasser bekommen, wenn ich dich dazu gebracht hätte, etwas zu essen.
Drei Tage lang hast du nichts gegessen, egal, wie sehr ich dich anflehte. Ich glaube nicht, dass du mich überhaupt gehört hast. Natürlich war ich verzweifelt. Nachts ging ich
nach draußen und wenn ich so nahe an den Käfig ging, wie mir gestattet war, konnte ich Jo wimmern hören. Seine Haut war voller Brandblasen von dem heißen Metall. Also habe ich etwas Schreckliches getan. Eines Morgens zerrte ich dich nach draußen und zwang dich, den Käfig anzusehen. Ich sagte dir, dass du meinen Mann aus Boshaftigkeit umbringen würdest und dass ich dich für immer hassen würde, wenn er stürbe.
Ich wusste nicht, dass Dorothea deine Mutter davongejagt hatte und ich alles war, was dir noch blieb. Aber du wusstest es. Du hast es gespürt, als sie ging.
Also hast du getan, wie dir geheißen ward. Du hast gegessen, wenn ich es dir sagte, und geschlafen, wenn ich es dir sagte. Zwar warst du mehr ein Gespenst als ein Kind aus Fleisch und Blut, doch sie ließen Jo frei.«
Manny wischte sich mit einem Zipfel ihrer Küchenschürze die Tränen aus dem Gesicht, ehe sie an ihrem kalt gewordenen Tee nippte.
Daemon schloss die Augen. Bevor er hierher gekommen war, hatte er dem verfallenen, leer stehenden Haus einen Besuch abgestattet, in dem er einst gelebt hatte. Wie jedes Mal, wenn er sich in diesem Teil des Reiches befand, hatte er nach Antworten gesucht. Schwer greifbare, verräterische Erinnerungen marterten ihn immer, wenn er durch die Räume schritt. Doch es war das verwüstete Arbeitszimmer, das ihn wirklich dorthin zurückzog, das Zimmer, in dem er beinahe das sanfte Donnern einer tiefen, kraftvollen Stimme hörte und fast das Gefühl hatte, von starken Armen gehalten zu werden. Beinahe konnte er glauben, dass er einst sicher, beschützt und geliebt gewesen war.
Und nun wusste er endlich, warum.
Daemon legte seine Hand über Mannys und drückte die ihre zärtlich. »Du hast mir so viel verraten, nun erzähl mir auch den Rest.«
Manny schüttelte den Kopf. »Sie taten etwas, um ihn aus deinem Gedächtnis zu streichen, und sagten, sie würden
dich umbringen, solltest du je von ihm erfahren.« Flehend blickte sie ihn an. »Ich konnte es nicht zulassen, dass sie dich töten. Du warst das Kind, das Jo und ich nie haben konnten.«
In seinem Geist begann sich eine Tür zu öffnen, von deren Existenz er bisher nichts geahnt hatte.
»Ich bin kein Kind mehr, Manny«, entgegnete Daemon leise, »und lasse mich nicht so einfach umbringen.« Er machte eine zweite Kanne Tee und stellte eine frische Tasse vor sie hin, bevor er sich wieder auf seinen Stuhl sinken ließ. »Wie hieß ... heißt er?«
»Er hat viele Namen«, flüsterte Manny und starrte in ihre
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