Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
Angelline, Matriarchin der Familie und Königin von Chaillot, war eine gut aussehende Frau mit langen, dunklen Haaren, die erste silberne Strähnen aufwiesen, einem zarten, ovalen Gesicht und Augen, welche die Farbe purpurner Juwelen hatten. Ihre Kleidung war einfach geschnitten, aber kostbar. Der Blutopal, der um ihren Hals hing, befand sich in einer schlichten, goldenen Fassung. Sie saß in einem Sessel mit hoher Lehne und ihre Körperhaltung war aufrecht und stolz, während sie ihn betrachtete.
Im Gegenzug musterte Daemon sie. Von Natur aus war sie keine Schwarze Witwe, doch etwas an ihr sagte ihm, dass sie Zeit in einem Stundenglassabbat verbracht hatte. Doch weshalb sie eine Lehre anfangen sollte, um sie dann abzubrechen ... Außer Dorothea hatte damals bereits mit ihrer Säuberungsaktion in Chaillots Stundenglassabatten begonnen. Potenzielle Rivalinnen auszuschalten war eines der ersten Dinge, die Dorothea in Angriff nahm, um ein Territorium zu zermürben, und andere Schwarze Witwen waren viel gefährlichere Konkurrentinnen als die Königinnen, weil sie dieselbe Art der Kunst wie Dorothea praktizierten. Es bedurfte nicht allzu vieler Geschichten, die flüsternd die Runde machten, bevor sich die Vorsicht einer Schwarzen Witwe in Angst verwandelte, und dann begann das Morden. Viele Schwarze Witwen waren untergetaucht und die Einzigen, die noch in ihrer Form der Kunst unterwiesen wurden, waren die Töchter, die dem Stundenglas geboren wurden.
Da Alexandra die alleinige Erbin eines der größten Vermögen auf Chaillot war und außerdem die mächtigste Königin der Insel, hätte ihre weitere Anwesenheit beim Stundenglassabbat ein gefährliches Risiko für alle bedeutet.
Leland Benedict, Alexandras einzige Tochter und Roberts Frau, war eine blassere, frivole Version der Mutter. Der übertriebene Rüschenbesatz an Ausschnitt und Ärmeln passte nicht zu ihrer Figur und die für die Tageszeit viel zu kunstvoll hochgesteckten Haare ließen sie matronenhafter als ihre eigene Mutter wirken. Ihre schüchtern-neugierige Art ärgerte Daemon besonders, da er aus Erfahrung wusste, dass diejenigen Frauen, die mit schüchterner Neugierde anfingen, am grausamsten und rachsüchtigsten wurden, wenn sie erst einmal herausgefunden hatten, welche sinnlichen Genüsse er für sie bereithielt. Dennoch tat sie ihm Leid. Fast konnte er spüren, dass ihr Kern immer noch flüssig war und sich nach etwas Reinerem, Reicherem und Erfüllenderem sehnte als der Freiheit, die sie innerhalb ihres goldenen Käfigs genoss. Im nächsten Moment klimperte sie ihn mit ihren Wimpern an und er hätte ihr am liebsten ins Gesicht geschlagen.
Zuletzt war da das Mädchen, Wilhelmina, das einzige Kind aus Roberts erster Ehe. Im Gegensatz zu ihrem Vater, der rotblond und von gesunder Gesichtsfarbe war, war ihr Haar rabenschwarz und ihr Teint sehr hell, was die fiebrig geröteten Wangen und blaugrauen Augen besonders betonte. Sie würde eine Schönheit werden, sobald ihr Körper weibliche Rundungen entwickelte. In der Tat war der einzige Makel, den Daemon an ihrem Aussehen entdecken konnte, der Umstand, dass sie beinahe unnatürlich mager wirkte. Er fragte sich, wie schon so oft andernorts, ob diese Leute – Blut wie er selbst – auch nur die leiseste Ahnung davon hatten, was sie waren und was das Tragen der Juwelen mit sich brachte: nicht nur Vergnügen und Macht, sondern auch große Entbehrungen. Wenn das Mädchen dunklere Juwelen als die übrigen Frauen in der Familie trug, erkannten sie vielleicht nicht, was für ihn so offensichtlich war.
Wer die Juwelen trug, insbesondere wenn es sich um ein Kind handelte, besaß einen höheren Stoffwechsel. Es war möglich, den eigenen Körper binnen weniger Tage völlig
auszuzehren, wenn nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung stand. Hexen liefen dabei eher Gefahr als die Männer des Blutes, da ihr Körper ihnen während der Mondzeit besonders viel abverlangte.
Daemons roter Juwelensplitter, der inmitten der Rubine an seinen Manschettenknöpfen verborgen war, würde die Unterhaltung speichern, bis Daemon bereit war, sie sich ins Gedächtnis zurückzurufen. Also ließ er seinen Gedanken freien Lauf, während Alexandra ihm von ihrem Haushalt berichtete und ihm seine »Pflichten« auseinander setzte. Im Augenblick gab es Wichtigeres, über das er nachdenken musste.
Wo war sie? Wer war sie? Eine Verwandte, die nur gelegentlich zu Besuch kam? Ein Gast, der ein paar Tage hier gewohnt hatte und vor kurzem abgereist
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