Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
Dunkelheit.
Eine Schwarze Witwe, die am Rand des Verzerrten Reiches
stand, war in der Lage, das wahre Gesicht hinter jeglicher Maske zu erkennen, die eine Person trug; sie konnte Holz und Stein Erinnerungen entlocken, um herauszufinden, was an einem bestimmten Ort vorgefallen war; sie erkannte die Zukunft betreffende Warnungen.
Als Cassandra durch die Traumlandschaft der Visionen zur Sonne aufgeblickt hatte, war diese ein zerrissenes, blutendes Rund gewesen.
Alexandra Angelline musterte das Zimmer kritisch. Der Holzboden schimmerte, die Teppiche waren eben aus der Reinigung gekommen, die Fenster glänzten, das Bettzeug war neu und der Schrank war voller frisch gewaschener und gebügelter Kleidungsstücke, die in einer geraden Reihe über den polierten Schuhen hingen. Sie atmete tief ein und konnte Herbstluft und Zitronenpolitur riechen.
Und etwas anderes.
Sie stieß ein ärgerliches Seufzen aus, schüttelte den Kopf und wandte sich an die Haushälterin. »Es ist immer noch da. Noch einmal reinigen!«
Lucivar betrachtete den wolkenlosen Himmel. Über der Arava-Wüste in Pruul schimmerten bereits Hitzewellen, doch Lucivar zitterte, da ihm die Kälte bis ins Knochenmark gekrochen war. Seine äußeren Sinnesorgane sagten ihm nichts, also richtete er seine Aufmerksamkeit nach innen, wo er auf der Stelle die kalte, dunkle Wut spüren konnte. Nervös fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, als er einen schwarzgrauen Speerfaden benutzte, um einen Gedanken zu senden, der auf einen einzelnen Geist zielte.
*Bastard?*
Was auch immer mit den Winden über Pruul reiste, zog an ihm vorbei und setzte seinen Weg gen Westen fort.
*Bastard?*
Die einzige Antwort, die er erhielt, war kaltes Schweigen.
In der Hölle saß Saetan hinter dem Ebenholzschreibtisch in seinem privaten Arbeitszimmer in den Tiefen der Burg und starrte das Porträt am anderen Ende des Raumes an, obgleich er es in dem Dämmerlicht kaum ausmachen konnte. Seit Stunden saß er nun schon dort und stierte Cassandras Abbild an, um etwas zu empfinden – Liebe, Wut –, irgendetwas, das den Schmerz in seinem Herzen lindern würde.
Er empfand nichts außer Bitterkeit und Bedauern.
Unter Saetans wachsamem Blick öffnete Mephis die Tür des Arbeitszimmers und schloss sie wieder hinter sich. Eine Weile starrte Saetan seinen ältesten Sohn an, als sei dieser ein Fremder, bevor er sich wieder dem Porträt zuwandte.
»Prinz SaDiablo«, sagte Saetan mit leise grollender Stimme.
»Höllenfürst?«
Etliche Minuten verstrichen, in denen Saetan das Porträt betrachtete. Schließlich stieß er ein schmerzerfülltes Seufzen aus. »Schick Marjong den Vollstrecker zu mir.«
In einem Privatabteil einer Gelben Kutsche reiste Daemon Sadi durch das Netz, wobei er zwei nervösen hayllischen Gesandten gegenübersaß. Hinter seinem Gesicht, das wie eine schöne Maske wirkte, verbarg sich seine gebändigte, jedoch unverminderte Wut. Während der Fahrt hatte er keine Silbe mit seinen Begleitern gewechselt, ja er hatte sich kaum bewegt, seitdem sie Hayll verlassen hatten.
Jetzt starrte er eine kahle Wand an, ohne den gedämpften Stimmen der Männer Beachtung zu schenken. Immer wieder suchte seine Rechte das linke Handgelenk und seine Finger strichen leicht darüber, als müsse er sich vergewissern, dass die Narbe, die Tersa ihm hinterlassen hatte, noch da war.
2Terreille
D aemon starrte aus dem Fenster, als die Kutsche die ebene Straße entlangrollte, die zum Angelline-Anwesen führte. Er war sich der Tatsache bewusst, dass Prinz Philip Alexander, der endlich damit aufgehört hatte, ihn auf ihrem Weg durch Beldon Mor fieberhaft auf Sehenswürdigkeiten aufmerksam zu machen, ihn heimlich beobachtete. Daemon verstand die Art, die sein Gegenüber während der Fahrt an den Tag gelegt hatte. Hayllische Gesandte rühmten sich schließlich damit, versteckt höhnisch auf das kulturelle Erbe der Städte herabzublicken, die sie besuchten. Doch er war zu fasziniert von dem schwer fassbaren Rätsel, das seinen Geist kurz nach seiner Ankunft in Beldon Mor gestreift hatte, um Philip mehr als kurz angebundene, höfliche Antworten zu geben.
Vor wenigen Jahrzehnten war Beldon Mor wahrscheinlich eine wunderschöne Stadt gewesen. Es war immer noch ansehnlich, doch Daemon fiel auf Anhieb Haylls verderblicher Einfluss auf. In ein paar Generationen würde Beldon Mor nichts weiter als eine kleinere, jüngere Version von Draega sein.
Doch unter der Oberfläche gab es etwas Subtiles, schwer
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