Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
Blut. Er klammert sich an die Insel des Vielleicht . Die Brücke wird sich aus den Fluten erheben müssen. Die Fäden sind noch nicht alle an ihrem Platz.«
»Tersa, wo ist Daemon?«
Sie blinzelte und holte schaudernd Atem. Dann starrte sie ihn mit gerunzelter Stirn an. »Der Junge heißt Mikal.«
Am liebsten hätte er sie angeschrieen: Wo ist mein Sohn? Warum ist er nicht zum Bergfried gegangen oder durch eines der Tore gekommen? Worauf wartet er? Doch es war sinnlos, sie anzuschreien. Was sie gesehen hatte, konnte sie nicht besser in die Sprache der Wirklichkeit übersetzen, als sie es bereits getan hatte. Eines begriff er jedoch: Noch waren nicht alle Fäden an ihrem Platz. Bis dahin blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten.
»Wozu sind die Stöcke gut, Tersa?«
»Stöcke?« Tersa blickte zu dem Korb mit Ästen, der in einer Ecke der Küche stand. »Sie haben keinen Zweck.« Sie zuckte mit den Schultern. »Brennholz?«
Es kostete sie große Mühe, ihre Seele davor zu bewahren, von den Steinen der Wirklichkeit und des Wahnsinns zermahlen zu werden, und so zog sie sich erschöpft vor ihm zurück.
»Gibt es etwas, das ich für dich tun kann?«, fragte er, während er aufstand.
Tersa zögerte. »Es würde dich erzürnen.«
In diesem Augenblick fühlte er sich nicht in der Lage, ein derart starkes Gefühl wie Zorn zu empfinden. »Es wird mich nicht erzürnen, das verspreche ich dir.«
»Würdest du … würdest du mich eine Minute lang halten?«
Ihre Bitte traf ihn wie ein Fausthieb. Er, der sich immer nach körperlicher Zuneigung gesehnt hatte, war niemals auf den Gedanken gekommen, sie in den Arm zu nehmen.
Er umarmte sie. Tersa schlang ihre Arme um ihn und lehnte den Kopf an seine Schulter.
»Dieses ganze Brunftgehabe vermisse ich nicht, aber es ist ein schönes Gefühl, von einem Mann gehalten zu werden.«
Zärtlich küsste Saetan sie auf das zerzauste Haar. »Warum hast du mir das nicht schon vorher gesagt? Ich wusste nicht, dass du umarmt werden möchtest.«
»Jetzt weißt du es.«
2 Kaeleer
E in Flüstern ging durch den Dunklen Rat.
Anfangs war es nur ein nachdenklicher Blick, eine sorgenvoll gerunzelte Stirn. Der Höllenfürst hatte schon vieles im Laufe seines langen Lebens getan – man denke nur daran, wie er sich im Rat verhalten hatte, um die Vormundschaft des Mädchens zu erlangen –, doch es war schwer vorstellbar, dass er zu solchen Niederträchtigkeiten in der Lage sein sollte. Er hatte immer darauf beharrt, dass die Stärke eines Territoriums, ja eines Reiches, davon abhing, wie stark die Hexen darin waren. Umso erstaunlicher war es, dass er einem verletzlichen Mädchen, einer dunklen jungen Königin derartige Dinge antun konnte …
Oh ja, sie hatten sich bereits zuvor nach dem Mädchen erkundigt, aber der Höllenfürst hatte jedes Mal äußerst knapp auf ihre Anfragen reagiert. Das Mädchen sei krank. Besuche kämen nicht in Frage. Die Kleine werde von Privatlehrern unterrichtet.
Wo war sie die letzten zwei Jahre über gewesen? Was hatte sie erdulden müssen? War sich Jorval seiner Sache auch ganz sicher?
Nein, meinte Lord Jorval beharrlich, sicher konnte er sich nicht sein. Es handelte sich lediglich um ein Gerücht, das ein entlassener Dienstbote in die Welt gesetzt hatte. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass sich die Sache nicht so verhielt, wie der Höllenfürst behauptet hatte. Wahrscheinlich war das Mädchen tatsächlich krank, eine Art Invalide, die vielleicht geistig oder körperlich zu schwach war, um die Aufregung zu verkraften, die Besucher unweigerlich mit sich brachten.
Der Höllenfürst hatte nie erwähnt, dass sein Mündel an einer Krankheit leide, bevor der Rat zum ersten Mal verlangt hatte, das Mädchen zu sehen.
Jorval strich sich mit der dünnen Hand über den dunklen Bart und schüttelte den Kopf. Es gab keinerlei Beweise. Nur das Wort eines Mannes, der unauffindbar war.
Gemurmel, Mutmaßungen, Flüstern.
3 Das Verzerrte Reich
Er klammerte sich an den spitzen Grashalmen fest, die auf dem abbröckelnden Boden der Insel des Vielleicht wuchsen, und beobachtete, wie die Stöcke im Wasser auf ihn zutrieben. Sie befanden sich im gleichen Abstand zueinander, wie die Sprossen einer Strickleiter, die über das endlose Meer gespannt war. Doch er würde kaum Halt darauf finden, und es gab keine Seile, nach denen er hätte greifen können. Wenn er versuchte, die Stöcke zu benutzen, würde er in dem gewaltigen Meer aus Blut untergehen.
Untergehen würde er
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