Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
hatte er überlebt und noch dazu den lebenden Mythos, seine lang erträumte Königin wiedergefunden.
Noch während er lächelte, stiegen ihm heiße, bittere Tränen in die Augen.
Er war am Leben. Und Jaenelle war am Leben. Doch Daemon …
Lucivar hatte nicht die leiseste Ahnung, was an Cassandras Altar vorgefallen war, wie jenes Laken mit Jaenelles Blut durchtränkt worden war, oder was Daemon getan hatte – doch allmählich begann er zu begreifen, was der Preis gewesen war.
Verzweifelt barg er das Gesicht in den Kissen, um sein Schluchzen zu dämpfen. Obgleich er die Augen vor jenen Bildern verschloss, konnte er Daemon sehen: in jener Nacht in Pruul, erschöpft, aber wild entschlossen. In der Ruine von Burg SaDiablo in Terreille, ausgebrannt vom Alptraum des Wahnsinns und zum Sterben bereit. Wieder hörte er, wie Daemon seine Anschuldigungen angstvoll und wütend bestritt. Jener qualvolle Schrei, der sich inmitten der zerbrochenen Steine erhob.
Wenn er in jener Nacht nicht derart von seiner Verbitterung geblendet gewesen wäre, wenn er mit Daemon gemeinsam von dort aufgebrochen wäre, hätten sie gemeinsam
durch die Tore reisen können. Zusammen hätten sie einen Weg gefunden. Und wären ihr begegnet und hätten diese Jahre mit ihr verbracht, hätten beobachtet, wie sie vor ihren Augen heranwuchs, und hätten an den Erfahrungen Anteil gehabt, die aus einem Kind eine Frau, eine Königin machten.
Er würde all das immer noch tun können. Während der letzten Jahre dieser Verwandlung würde er bei ihr sein und ihr voller Freude dienen dürfen.
Doch Daemon …
Lucivar biss in das Kissen, um einen gequälten Aufschrei zu unterdrücken.
Daemon …
Kapitel 10
1 Kaeleer
L ucivar stand am Rand des Waldes, noch nicht ganz bereit, die Linie zu überschreiten, die den Schatten der Bäume von der sonnenüberfluteten Wiese trennte. An diesem Tag war es so warm, dass er den Schatten zu schätzen wusste. Außerdem hatte Jaenelle verreisen müssen. Es gab also keinen Grund zur Eile.
Rauch trottete herbei, suchte sich einen Baum aus und hob das Bein. Erwartungsvoll blickte er Lucivar an.
»Ich habe das Revier ein Stück weiter hinten markiert«, meinte Lucivar.
Das verächtliche Schnauben, das er erntete, machte ihm deutlich, was der Wolf von der Fähigkeit der Menschen hielt, ihr Revier angemessen zu markieren.
Belustigt wartete Lucivar ab, bis Rauch losgetrabt war, bevor er selbst in den Sonnenschein trat und seine Flügel ausbreitete, damit sie ganz trocknen konnten. Jaenelle hatte ihm kürzlich einen Teich gezeigt, in den ein kleiner Bach mündete. Das Gewässer war zwar noch nicht sehr warm, doch er hatte die kurze Abkühlung genossen.
Langsam bewegte er die Flügel und schwelgte in dem Gefühl, dass er es konnte. Der Heilungsprozess war beinahe abgeschlossen. Wenn alles gut verlief, würde er seine Schwingen nächste Woche bei einem Flug ausprobieren. Es fiel ihm schwer, die nötige Geduld aufzubringen, aber immer wenn er den leichten Schmerz in seinen Muskeln spürte, wusste er, dass Jaenelle den richtigen Zeitrahmen für die Heilung angesetzt hatte.
Mit angelegten Flügeln spazierte Lucivar gemächlich auf das Haus zu.
Er stand ganz im Bann des warmen Tages und der körperlichen Anstrengung, die er geleistet hatte, und so fiel ihm nicht gleich auf, dass etwas an der Art nicht stimmte, wie die beiden jungen Wölfe auf ihn zugestürzt kamen. Jaenelle hatte ihm beigebracht, mit den verwandten Wesen zu kommunizieren, und er war geschmeichelt gewesen, als sie ihm eröffnete, dass die Tiere ausgesprochen wählerisch waren und nicht mit jedem Menschen sprachen. Doch als die Wölfe auf ihn zugelaufen kamen, machte er sich unwillkürlich auf das Schlimmste gefasst und fragte sich, in welchem Maße ihr Wohlwollen ihm gegenüber von Jaenelles Gegenwart abhing.
Eine Minute später war er von Fell umgeben und musste darum kämpfen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren: Ein Wolf stieß ihn nach vorne, indem er ihm von hinten die Vorderläufe um die Taille schlang, während der andere ihm die Pfoten auf die Schultern legte und ihm das Gesicht ableckte, die ganze Zeit über aufgeregt winselnd.
Ihre Gedanken, die auf seinen Geist eindrangen, waren zu durcheinander, um verständlich zu sein.
Die Lady war zurückgekehrt. Das Schlimme würde passieren. Sie hatten Angst. Rauch hielt Wache und wartete auf Lucivar. Lucivar sollte schnell kommen. Er war ein Mensch. Er würde der Lady helfen.
Lucivar befreite sich so weit von
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