Die schwarzen Juwelen 02 - Dämmerung
den Wölfen, dass er schnellen Schrittes auf das kleine Haus zugehen konnte. Sie hatten nicht erwähnt, dass sie verletzt oder verwundet war. Doch etwas Schlimmes würde geschehen. Etwas, das die Tiere davor zurückscheuen ließ, das Haus zu betreten und bei ihr zu sein.
Er entsann sich, wie unruhig Rauch gewesen war, als Jaenelle ihnen eröffnet hatte, dass sie für ein paar Tage fort müsse.
Etwas Schlimmes. Etwas, bei dem ein Mensch helfen konnte.
Er hoffte inständig, dass sie mit Letzterem Recht behalten würden.
Als er die Haustür öffnete, wurde ihm mit einem Schlag klar, weswegen die Wölfe sich derart ängstigten.
Sie saß in dem Schaukelstuhl vor dem Kamin und starrte leeren Blickes vor sich hin.
Die seelische Pein, die in dem Zimmer herrschte, brachte ihn ins Wanken. Der mentale Schild um sie her wirkte täuschend schwach, als könne man ihn wie eine Spinnwebe fortwischen. Doch darunter lauerte etwas, das einen schrecklichen Tribut fordern würde, sobald es entfesselt war.
Mit fest angelegten Flügeln umkreiste Lucivar vorsichtig den Schild, bis er vor ihr stand.
In dem schwarzen Juwel, das um ihren Hals hing, glühte ein tödliches Feuer.
Er zitterte, ohne sicher zu sein, ob seine Angst sich selbst oder ihr galt. Mit geschlossenen Augen gab er der Dunkelheit übereilte Versprechen, um nicht vollständig durchzudrehen.
Da er den größten Teil seines Lebens in Terreille verbracht hatte, wusste er, wenn er jemanden vor sich hatte, der gefoltert worden war. Er glaubte nicht, dass ihr körperlicher Schaden zugefügt worden war, doch es gab andere Arten der Qual, die ganz genauso zerstörerisch waren. Die letzten vier Tage hatte ihr Körper offensichtlich einen hohen Preis gezahlt. Das Gewicht, das sie zuvor gewonnen hatte, war ebenso verschwunden wie die Muskeln, die sie durch die Arbeit mit ihm aufgebaut hatte. Ihre Gesichtshaut war viel zu straff gespannt und sah aus, als könne sie jeden Moment zerreißen. Ihre Augen …
Was er in ihren Augen erblickte, ertrug er nicht.
Sie saß da und verblutete stumm an einer Seelenwunde, ohne dass er wusste, wie er ihr helfen, ja ob er ihr überhaupt helfen konnte.
»Katze?«, sagte er leise. »Katze?«
Er konnte ihre Abscheu spüren, als sie ihn schließlich ansah, konnte den Strudel der Gefühle sehen, der sich in jenen gehetzten, abgrundtiefen Augen widerspiegelte.
Sie blinzelte; vergrub die Zähne so tief in ihrer Unterlippe, dass sie blutete; blinzelte erneut. »Lucivar.« Es war weder
eine Frage noch eine Feststellung, vielmehr ein Wiedererkennen, das sie unter Schmerzen aus einem tiefen Brunnen in ihrem Innern schöpfte. »Lucivar.« Tränen traten ihr in die Augen. »Lucivar?« Die verzweifelte Bitte, getröstet zu werden.
»Lass den Schild sinken, Katze.« Er beobachtete ihre Anstrengungen, ihn zu verstehen. Süße Dunkelheit, sie war noch so jung! »Lass den Schild sinken. Lass mich zu dir.«
Der Schild löste sich auf. Noch vor dem ersten herzzerreißenden Schluchzen lag sie in seinen Armen. Er ließ sich mit ihr in dem Schaukelstuhl nieder und hielt sie fest umschlungen, während er ihr bedeutungslose, besänftigende Worte ins Ohr flüsterte und versuchte, ihre eiskalten Gliedmaßen zu wärmen, indem er sie massierte.
Als die Schluchzer langsam versiegten, rieb er die Wange an ihrem Haar. »Katze, ich glaube, ich sollte dich zu deinem Vater bringen.«
»Nein!« Sie versuchte, ihn von sich zu stoßen und freizukommen.
Mit ihren Fingernägeln hätte sie ihm das Fleisch von den Knochen kratzen können, und das Gift in ihrem Schlangenzahn hätte ausgereicht, ihn mindestens zweimal zu töten. Ein Schlag ihrer schwarzen Juwelen hätte seine inneren Barrieren zerstören und ihn den Verstand kosten können.
Stattdessen wehrte sie sich vergeblich gegen seinen Körper, der ihr an Kraft überlegen war. Allein dieser Umstand verriet ihm mehr über ihr Temperament als irgendetwas sonst, das sie hätte tun können – und erklärte zudem, weshalb es überhaupt erst so weit gekommen war. Wahrscheinlich war ihre Wut früher einmal mit ihr durchgegangen, und das Ergebnis hatte ihr eine Heidenangst eingejagt. Jetzt wagte sie es nicht, ihre Wut nach außen dringen zu lassen – selbst dann nicht, wenn es sich um Selbstverteidigung handelte. Nun, daran ließe sich mit seiner Hilfe etwas ändern.
»Katze …«
»Nein.« Sie versetzte ihm einen letzten Stoß, bevor sie in seinen Armen zusammensackte, zu schwach, um weiter gegen ihn anzukämpfen.
»Warum
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