Die schwarzen Juwelen 04 - Zwielicht
was sie erledigt hatte, war zwar ausreichend gewesen, doch nicht gut genug. Sie sollte sich den Traum aus dem Kopf schlagen, eine Anstellung in einem anderen Haushalt zu finden. Luthvian ließe sie nur bleiben, um Jaenelle einen Gefallen zu tun.
Es machte nichts, sagte Marian sich. Doch sie konnte spüren, wie Verzweiflung in ihr aufstieg, bevor sie das Gefühl niederkämpfte. Sie lebte noch, und sie befand sich in Kaeleer, dem Schattenreich, das die meisten Leute bis vor ein paar Jahren lediglich für einen Mythos gehalten hatten. Sie musste nicht nach Terreille zurück. Hier würde ihr Leben nicht von den Launen eines Mannes abhängen.
Jedenfalls nicht im gleichen Maße.
Luthvian hatte ihr ebenfalls auseinander gesetzt, dass alles, was ihr missfiel, auch das Missfallen ihres Sohnes erregen würde, des Kriegerprinzen, der über Ebon Rih herrschte.
Marian hatte die Drohung sehr wohl verstanden. Was ihr in Terreille geschehen war, wäre nichts im Vergleich dazu, was ihr ein zornentbrannter Kriegerprinz mit schwarzgrauem Juwel antun könnte.
Vorsichtig breitete sie die Flügel aus, so weit es ging, bis sie ein Ziehen in der Rückenmuskulatur spürte. Sie biss die Zähne zusammen und zählte bis fünf, dann legte sie die Flügel langsam wieder an und ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor sie die Übung wiederholte.
Sie würde andere Arbeit finden - bezahlte Arbeit - und sie
würde schuften und sparen, um eines Tages ihr eigenes Zuhause zu haben. Und sie würde wieder fliegen können und über dieses Land hinweggleiten, das schöner war als alles, was sie je in ihrer Heimat zu Gesicht bekommen hatte. Sie würde...
»Hast du das Kleid umgenäht?« Luthvians Stimme schnitt durch die Dunkelheit.
Marian zuckte zusammen. Wie lange die Schwarze Witwe und Heilerin sie wohl beobachtet hatte? Sie rief sich ins Gedächtnis, dass sie nirgendwo anders hingehen konnte - jedenfalls noch nicht -, und wandte sich um. »Wie ich dir vorhin schon sagte, Lady Luthvian, ich kann das Kleid nicht umnähen, bis du Zeit für eine Anprobe hast, damit ich überprüfen kann, ob die Länge stimmt.«
»Ich habe dir erklärt, um wie viel du es kürzen sollst.«
Ihre jüngeren Schwestern hatten genau das Gleiche in eben diesem höhnischen Tonfall zu ihr gesagt - und sich dann erbost bei ihrer Mutter beschwert, wenn der Saum zu tief oder zu kurz ausfiel, weil sie darauf bestanden hatten, dass sie das betreffende Kleidungsstück umnähen sollte, ohne die kostbare Zeit ihrer Schwestern mit Anproben zu vergeuden.
»Dennoch«, sagte Marian, die sich darum bemühte, weiterhin respektvoll zu klingen, »wäre ich mir bei der Länge sicherer, wenn ich das Kleid umschlagen könnte, während du es trägst.«
Das Schweigen, das ihren Worten folgte, bereitete Marian Unbehagen. Eine Schwarze Witwe war eine überaus gefährliche Hexe, die man nicht gegen sich aufbringen sollte. Luthvian konnte viel mehr tun, als ihr nur körperliche Verletzungen zufügen.
»Sie taugen nichts mehr. Das weißt du, oder?«, meinte Luthvian.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.« Ihre Eingeweide verkrampften sich angstvoll.
»Die Flügel. Sie sind zu stark beschädigt worden. Du wirst nie wieder fliegen.«
Die Angst verursachte ihr körperliche Schmerzen. »Nein. Lady Angelline sagte …«
»Jaenelle ist eine gute Heilerin, aber sie hat wenig Erfahrung oder Wissen, was Eyrier betrifft. Ich verfüge über beides. Und ich sage dir, diese Flügel da sind nur noch Schmuck. Du wirst nie wieder fliegen. Wenn du es versuchst, wirst du dir nur deinen Rücken so stark verletzen, dass du nicht arbeiten kannst. Wie willst du dir dann deinen Unterhalt verdienen? Was soll dann aus dir werden?«
Luthvians Stimme nahm einen sanfterenTon an. »Es wäre besser, wenn du sie entfernen lässt. Wenn sie erst einmal fort sind, gerätst du gar nicht in Versuchung, etwas zu tun, das dich zum Krüppel machen könnte.«
Nein , dachte Marian, während ihr die Tränen in die Augen traten. Nein!
»Ich kann das für dich erledigen.« Luthvians Stimme klang leise und überzeugend. »In einem Monat wirst du gar nicht mehr wissen, wie es sich angefühlt hat, sie zu besitzen.«
»Nein!«
Luthvians Stimme wurde kalt. »Wie du willst. Aber erwarte nicht, hier zu bleiben, wenn du etwas tun solltest, das dich für den Haushalt unbrauchbar werden lässt.«
Marian hörte nicht, wie Luthvian sich entfernte, doch sie hörte, wie die Küchentür geschlossen wurde. Sie blieb noch lange draußen und
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