Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis
Birnen auf den angewinkelten Arm. Es war immer sein Lieblingsobst gewesen, und dass die Birnen erst nach den ersten Erntefesten reiften, hatte sie nur noch besonderer gemacht. Sie waren klein, süß und saftig und hielten sich nicht gut, wenn man sie nicht einmachte – Reyna holte zum Winsolfest immer Einweckgläser mit Honigbirnen in Brandy hervor -, aber er war immer der Meinung gewesen, dass das Obst frisch besser schmeckte. Außerdem war Reynas Großmutter in seinen Augen eine außergewöhnlich vorausschauende Frau gewesen,
denn sie hatte zwei Honigbirnbäume auf dem Familiengrundstück angepflanzt, die ihren gefräßigen Urenkeln viel Freude bereitet hatten.
Je zwei Stück für jeden, entschied er, während er die Birnen einsammelte. Ob Lia jemals eine probiert hatte? Sie waren bestimmt teuer. Das waren sie schon immer gewesen, weil...
Jared erstarrte.
... weil die Bäume nur im Südwesten von Shalador … und dem direkt angrenzenden Land gediehen.
Jared ging zu dem Ladentisch und setzte vorsichtig seinen Arm voll Birnen ab. Zum gleichen Zeitpunkt hievte Blaed einen gewaltigen Sack Kartoffeln auf den Ladentisch.
»Äußerst praktische Lebensmittel«, sagte Blaed und bedachte die Birnen mit einem nachsichtigen Lächeln. Als Jared nichts erwiderte, zuckte der Kriegerprinz mit den Achseln und machte sich wieder daran, Vorräte zusammenzusuchen.
Es war das Schwerste, das er seit langer, langer Zeit getan hatte, doch Jared gelang es, in beiläufigem Tonfall zu fragen: »Wie weit ist es bis Shalador?«
»Zwei ganze Tagesritte nach Norden, Lord«, antwortete die alte Frau.
Mit einem Nicken wandte Jared sich ab, um ein paar Äpfel auszuwählen.
Zwei Tage bis zur Grenze. Drei Tage bis Ranonwald.
Wenn er auf dem roten Wind reiste, konnte er in weniger als einer Stunde zu Hause sein.
Er könnte Blaed mit den Vorräten zurück zum Wagen schicken und den Wallach hier in einem Stall unterbringen. Bis sie das Mittagessen gekocht und verspeist hatten, wäre er längst zu Hause. Mit dem ausgeruhten Wallach würde er sie ohne weiteres einholen, bevor sie ihr Nachtlager aufschlugen.
Eine Stunde. Er brauchte nur eine einzige Stunde, um seine Familie zu sehen und mit Reyna zu sprechen. Insgesamt wäre er nur drei Stunden, höchstens vier fort.
Er … konnte nicht fort.
Der Schmerz ließ ihn beinahe zusammenbrechen.
Er konnte nicht fort. Ob für drei Stunden oder drei Tage, war egal. Wenn Lia kein Mitleid mit ihm gehabt hätte, wäre er längst in den Salzminen von Pruul gelandet. Und sie wäre zu Hause. Oh, der unbekannte Feind, den Dorothea SaDiablo in ihre Mitte geschmuggelt hatte, wäre immer noch da, die Gefahr wäre immer noch nicht gebannt, aber gewiss hätten die Krieger der Grauen Lady sie am Bergpass erwartet und ihre junge Königin um jeden Preis beschützt.
Doch hier draußen? Brock und Randolf befanden sich immer noch in dem Glauben, Sklaven zu sein, und beide waren verbittert genug, sich im Hintergrund zu halten, anstatt ihr Leben für ihre Besitzerin aufs Spiel zu setzen. Eryk und Corry trugen zwar ihre Geburtsjuwelen, waren jedoch zu jung und zu schlecht ausgebildet. Was auch immer Garth an nützlichem Wissen besitzen mochte, war tief in seinem Innern verschüttet. Die kleine Cathryn konnte sich kaum selbst schützen, Tomas war völlig wehrlos. Thayne war ein Krieger mit hellen Juwelen, allerdings keine Kämpfernatur. Blaed würde kämpfen, allein schon um Thera zu beschützen.
Und Thera würde aus ihren ganz eigenen Beweggründen kämpfen.
Jared richtete sich auf. Ihm lief ein Schauder über den Rücken.
Falls sie nicht in Wirklichkeit einer anderen Macht diente.
Falls es sich bei ihrer Vergangenheit nicht bloß um eine in die Kunst einer Schwarzen Hexe gekleidete Geschichte gehandelt hatte.
Falls es nicht einen anderen Grund gab, weshalb sie ihren Namen geändert hatte.
Sie gehörte nicht zu den Sklaven, die Lia hatte zurückbringen sollen. Und sie hatte zugegeben, dass sie sich eines Zaubers bedient hatte, um von der richtigen Person erworben zu werden.
Von dieser ganz bestimmten Person?
Sie und Lia verbrachten viel Zeit zusammen in dem Wagen. Allein.
Grün gegen Grün. Doch wenn eine der Grün tragenden Frauen auf irgendeine Weise von einer Schwarzen Witwe und Hohepriesterin mit roten Juwelen den Rücken gestärkt bekam?
Jared sammelte rasch die Äpfel auf und legte sie auf den Ladentisch. Blaed hatte bereits einen Sack Mehl, einen kleinen Block Salz und zwei Tüten Zucker
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