Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht
sich zu ihr um. Genauso wenig war er sich nicht sicher, ob nun Jaenelle oder Hexe vor ihm stand und ihn betrachtete. Wie dem auch sei. Er würde keinen Hehl aus seiner Meinung machen.
»Wir sind die Angehörigen des Blutes, die Behüter der Reiche. Wir entstammen verschiedenen Völkern, doch wir sind nicht länger Teil dieser Völker. Wir besitzen unsere eigene Kultur, die alle anderen Völker und Kulturen umfasst. Wir haben unsere eigenen Gesetze, unseren eigenen Ehrenkodex, den die Landen nicht verstehen, und nach dem sie selbst dann nicht leben könnten, wenn sie es versuchten. Wir beherrschen die Territorien, und wir haben das Leben aller Landen in diesen Territorien in der Hand. Aber wir stellen dennoch eine Minderheit dar, Jaenelle. Trotz der manchmal brutalen Art, mit der wir miteinander umgehen, müssen wir jene wütende Macht nur selten gegenüber Landen entfesseln, weil wir gefürchtet werden. Weil wir ein Rätsel sind, das die Landen hauptsächlich aus der Ferne zu Gesicht bekommen. Und jetzt machst du aus uns eine billige Unterhaltung .«
Es schnürte ihm die Kehle zu. Solch ein langes, langes Leben. So viele Dinge, die er getan hatte, sowohl gute wie auch schreckliche.
»Indem du dir von ein paar Kindern diktieren lässt, wie wir sein sollen, verwandelst du uns in ein ungefährliches, bedeutungsloses Schreckgespenst. Spinnweben und knarrende Türen und komische Geräusche. Du gibst uns der Lächerlichkeit preis. Ich frage dich also, Lady: Was geschieht, wenn die Jungen, die uns so lustig finden, zu Männern heranwachsen und das Gefühl haben, sie könnten die Gesetze missachten, die für die Landen gelten? Was geschieht, wenn sie die Krieger herausfordern, die im Namen der Königinnen unterwegs sind, die über ihre Dörfer herrschen? Was geschieht, wenn sie ihre Kräfte sammeln, um die Angehörigen des Blutes anzugreifen, und herausfinden, wie fürchterlich – und wie vollständig – das Resultat sein kann, wenn wir kämpfen?«
Ein langes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Dann sagte Jaenelle: »Warum hast du das nicht gleich erwähnt, als dir mein Vorhaben zu Ohren gekommen ist? Du hast die letzten Wochen über kein Sterbenswort gesagt, während Marian und ich an der Sache gearbeitet haben.«
»Es stand mir nicht zu, dich aufzuhalten. Und offen gesagt hat es zu sehr geschmerzt, dass ausgerechnet du es warst, die uns so etwas antut.«
Wieder langes Schweigen. »Ich bitte um Verzeihung, Höllenfürst«, sagte Jaenelle leise. »Ich habe all das nicht von deinem Standpunkt aus betrachtet und mir keine Gedanken über die möglichen Konsequenzen gemacht, sollten die Leute das Ganze für bare Münze nehmen. Wir werden das Haus schließen und der ganzen Sache ein Ende bereiten.«
Er schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Die Idee hat sich längst herumgesprochen, und die Neuigkeit, dass Lady Angelline « – er sah, wie sie zusammenzuckte – »als herbstliche Attraktion ein Spukhaus erschafft, hat sich sowohl bei den Angehörigen des Blutes als auch in den Landendörfern wie ein Lauffeuer verbreitet. Ich bin mir sicher, dass Daemon und Lucivar dir helfen werden, die Menschenmengen im Zaum zu halten …«
»Menschenmengen?« Sie wirkte beunruhigt.
»Und Daemon wird sich um jegliche Beschwerden der Königinnen kümmern, die mit der Besucherschwemme in den Nachbardörfern fertig werden müssen.«
»Beschwerden? Besucher?«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Was hast du denn erwartet? Bloß eine Handvoll Kinder aus dem Landendorf, in dem sich das Haus befindet?«
»Nun, also … ja.«
Liebe und Wut zerrissen ihm schier das Herz. »Dann hast du wirklich keine Vorstellung davon, was du angestellt hast.« Seufzend fuhr er sich mit den Fingern durch die Haare. »Also gut, Hexenkind. Ich gebe dir dein lustiges Geräusch. Aber im Gegenzug dazu möchte ich, dass du mir einen Gefallen tust.«
Sie legte den Kopf schräg und wartete.
»Lass irgendwo in deinem Spukhaus etwas sein, das diesen Kindern zeigt, wer und was wir wirklich sind, das ihnen zeigt, mit wem sie es zu tun haben, wenn sie vor den Angehörigen des Blutes stehen.«
»Abgemacht.«
»Dann lass uns ein Zimmer suchen, das ein wenig abgeschiedener ist.«
Außer ihnen beiden befand sich niemand in der Bibliothek, doch Geoffrey konnte jeden Augenblick zurückkehren.
Sein Gesicht glühte vor Scham, als er auf die Tür zuging, und er wusste, dass seine Wangen trotz der hellbraunen Haut sichtbar gerötet waren. Er würde es
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