Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht

Titel: Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bishop
Vom Netzwerk:
die Hintertür und klopfte.
    Als Allista die Tür öffnete, wirkte sie nicht sonderlich nervös, aber er bemerkte die unterschwellige Sorge, als er die Küche betrat.
    »Tersa ist oben auf dem Dachboden«, sagte Allista. »Sie hat die Speichertür mit Schlössern versehen und ist sehr geheimniskrämerisch bezüglich der Dinge, die sie in den letzten Wochen dort oben treibt.«
    »Warum bin ich davon nicht in Kenntnis gesetzt worden?«
    »Es ist merkwürdig, aber es scheint Tersa nicht zu schaden oder irgendeine Gefahr darzustellen. Ja, sie wirkt sehr erfreut über … was auch immer es ist.«
    Er fühlte Wut in sich aufsteigen. Tersa war seine Mutter, eine gebrochene Schwarze Witwe, die vor siebenhundert Jahren den letzten Rest ihres gesunden Verstandes aufgegeben hatte, um ihre Macht als Schwester des Stundenglases wiederzuerlangen und die Träume und Visionen zu empfangen, die das Kommen von Hexe ankündigten. In der Nacht, in der sie ihm von der Vision erzählte, die sie in ihrem Verworrenen Netz erblickt hatte, hatte sie ihm Hoffnung geschenkt. Doch der Preis für diese Vision war gewesen, dass ihr Leben genauso zerstört wurde wie ihr Geist – bis Jaenelle sie so weit, wie Tersa konnte, aus dem Verzerrten Reich herausgeholt und sie hierhergebracht hatte, damit sie vom Höllenfürsten umsorgt und beschützt leben konnte.

    »Ich bin mindestens einmal pro Woche hier«, sagte Daemon, dessen Stimme angespannt klang, während er sich Mühe gab, Allista nicht anzubrüllen. »Man hätte mich davon in Kenntnis setzen sollen, wenn Tersa sich in irgendeiner Weise ungewöhnlich verhält.«
    Allista starrte ihn an. Offensichtlich fühlte sie sich zwischen zwei Loyalitäten hin und her gerissen. Hier zu sein war Teil ihrer eigenen Ausbildung – alle Schwarzen Witwen gingen das Risiko ein, sich im Verzerrten Reich zu verirren – und deswegen gehörte ihre Treue dem Stundenglassabbat und Tersa. Doch Daemon Sadi herrschte über Dhemlan und bezahlte ihr vierteljährlich ihren Lohn als Dank dafür, dass sie sich um Tersa kümmerte – genau wie sein Vater es vor ihm getan hatte.
    Sie traf eine Entscheidung. Mit gerecktem Kinn und gestrafften Schultern sagte sie: »Sie wollte nicht, dass du davon erfährst.«
    Er stürmte aus der Küche und die Treppe empor, noch bevor Allista ein Wort des Protestes herausbringen konnte.
    Das Schloss an der Tür zum Dachboden war nicht abgesperrt, doch als er versuchte, die Tür zu öffnen, vernahm er das Klappern eines weiteren Schlosses auf der anderen Seite. Und er konnte ein mit der Kunst verstärktes Schloss spüren. Wenn Tersa es erschaffen hatte, war es möglicherweise gefährlich, selbst für jemanden mit seiner Macht.
    »Tersa?« Er hämmerte an die Speichertür. »Tersa! Mach die Tür auf!«
    *Geh weg*, antwortete sie auf einem mentalen Faden.
    *Nein, ich werde nicht weggehen.*
    Ärger quoll ihm auf dem Faden entgegen. Und eine Spur Angst.
    *Warte.*
    Er ging im Gang des Obergeschosses auf und ab und wartete. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Eine Viertelstunde.
    Endlich ging die Tür zum Dachboden auf, und Tersa kam in den Gang geschlüpft. Sie war so dünn, wie sie es immer gewesen war, trotz der regelmäßigen Mahlzeiten, die sie inzwischen
zu sich nahm. Doch ihre Kleidung war neu, und ihr Haar, das zwar immer noch so verworren wie ihr Verstand war, war sauber.
    »Tersa.« Er konnte nicht in ihren Gefühlen lesen, konnte sie nicht weit genug entwirren, um herauszufinden, was vor sich ging. Es tat weh, dass ihr seine Anwesenheit missfiel, aber er verdrängte den Schmerz.
    »Es ist eine Überraschung«, sagte sie. In ihrer Stimme schwang ein flehender Ton mit, den er noch nie bei ihr gehört hatte. »Für den Jungen. Nur eine kleine Überraschung für den Jungen.«
    Der Junge. Das bedeutete also für ihn. Er fragte sich häufig, was sie sah, wenn sie ihn erblickte. War es, als sähe sie in einen zerborstenen Spiegel, wobei jeder Splitter ein Bild aus der Vergangenheit in sich barg? Manchmal wusste er, dass sie ihn als das Kind sah, das er gewesen war, bevor Dorothea ihn ihr weggenommen und Tersa aus Hayll vertrieben hatte. Manchmal sah sie ihn als den Jüngling, der er gewesen war, als er ihr erneut begegnet war, und diese Begegnung für ihr erstes Zusammentreffen hielt, weil er sich nicht daran erinnern konnte, wer sie war. Und manchmal sah sie ihn so, wie er hier und jetzt vor ihr stand. Aber in all den zerbrochenen Splittern war er immer der Junge.
    Zu wissen, weshalb sie ihn nicht bei

Weitere Kostenlose Bücher