Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht
an und wartete ab.
»Dann sollten sich also sämtliche Boten, die nach Ebon Rih kommen, mit einem Schutzschild versehen, bevor sie die Briefe entgegennehmen?«, fragte der Krieger nach einer Weile.
»Richtig. Und wenn man achselzuckend darüber hinweggehen sollte, werde ich jemandem in den Hintern treten – und ich werde dabei nicht wählerisch sein. Vergiss auf keinen Fall, diese Botschaft an denjenigen zu überbringen, der das Sagen in der Briefstation hat.«
»Sehr wohl, Prinz.«
Dem Krieger gelang es, sich so weit zu beherrschen, dass er steifbeinig den Hof überqueren konnte. Dann stürmte er
Hals über Kopf die Treppenstufen zu dem Landeplatz hinunter, von dem aus er auf den Aquamarinwind aufspringen und Ebon Rih fluchtartig verlassen konnte.
Lucivar schloss die Tür und sperrte ab, bevor er Daemonar und das Wolfsjunge aus dem Schutzschild entließ. Anschließend ging er in die Küche zurück, wobei er murmelte: »Keine Schilde? Was bringen sie diesen Jungs bloß bei?« Da der Bote aus Dhemlan gekommen war, würde er mit Daemon darüber sprechen müssen. Nein, er würde ihm einen Brief schreiben . Daemon würde begreifen, wie viel Mühe ihn das gekostet hatte, und das wiederum würde garantieren, dass die Botschaft die ganze Aufmerksamkeit seines Bruders erhielt.
Sieh dir das nur einmal an , dachte Lucivar, während er den Umschlag öffnete. Da ich nun sesshaft und gesellschaftsfähig geworden bin, jedenfalls mehr oder weniger, kann ich ein noch größerer Mistkerl sein als früher, ohne auch nur mein Zuhause verlassen zu müssen.
Er warf einen Blick auf Daemonar und den Welpen, die dicht beieinandersaßen und sich still verhielten. Die Stille würde nur ein paar Minuten andauern, also zog er das schwere Papier aus dem Briefumschlag und warf den Umschlag auf die anderen Papiere, die bereits auf dem Küchentisch ausgebreitet lagen. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit dem Inhalt des Briefes.
»Deine Gegenwart wird zu einem privaten Rundgang durch das Spukhaus erbeten«, las er laut. Eine Einladung von Jaenelle und Marian. Mehr als eine Einladung. »Deine Gegenwart wird erbeten« war eine Formulierung, die im Protokoll vorkam, und die sanften Worte änderten nichts an der Tatsache, dass es sich im Grunde um einen Befehl handelte. Besonders wenn die Worte von seiner Königin und seiner Ehefrau kamen. Doch …
Lucivar drehte sich um, um auf die Uhr am anderen Ende der Küchenanrichte zu blicken.
»Beim Feuer der Hölle, Marian«, murmelte er. »Du hast mir nicht viel Zeit gelassen, jemanden zu finden, der auf das
kleine Ungeheuer aufpasst und ein Dorf mitten in Dhemlan zu erreichen.«
Er las die Einladung noch einmal durch, und die Beleidigung, die in den Wörtern mitschwang, ließ ihn in Zorn geraten. Er war ein Kriegerprinz, und er war der Herrscher von Ebon Rih. Und diese... Einladung... hatte trotz der formellen und korrekten Formulierung einen Beigeschmack von Sklave .
Es war egoistisch, ihm diesen verdammten Fetzen Papier zu schicken; besonders zumal Marian ihm gestern von der Besichtigung hätte erzählen können, damit er nicht auf Befehl springen und herumhetzen musste, um jemanden zu suchen, der sich um den Jungen kümmerte. Hätte es sich um irgendjemand anderen als Marian und Jaenelle gehandelt, hätte er dieser Person gründlich die Meinung gesagt. Und vielleicht würde er das auch noch tun, auch wenn es sich bei der einen Frau um seine Gattin und bei der anderen um seine Schwester handelte.
Und genau das, verdammt noch mal, blieb ihm beinahe in der Kehle stecken. Jaenelle und Marian stammten beide ursprünglich aus Terreille, aber sie hatten sich nie zuvor wie die Luder verhalten, die in jenem Reich lebten. Bis jetzt.
Er schloss die Augen und zwang sich, ganz langsam und tief durchzuatmen. Ein Mann ließ sich bei seinen Entscheidungen nicht von einer Beleidigung lenken, die sich in Worten versteckte. Ein Mann ließ sich bei seinen Entscheidungen von seiner Ehre lenken – und vom Protokoll. Deshalb würde er den Befehl befolgen, auch wenn es in ihm gärte. Er würde seine Frau nicht enttäuschen, und er würde sich seiner Königin nicht widersetzen. Doch …
Er hatte das Spukhaus noch nicht zu Gesicht bekommen – die Ladys hatten darauf bestanden, dass Daemon und er das Haus erst sähen, wenn es fertig war – folglich wusste er nicht genau, wo sich das verdammte Dorf befand.
Zuerst einmal das Dringendste erledigen. Er musste jemanden finden, der …
Das Wolfsjunge winselte auf.
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