Die schwarzen Juwelen 06 - Nacht
geboten hatten.
»Es ist grässlich«, sagte der älteste Junge mit einem wohligen Schaudern.
»Die Angehörigen des Blutes leben nicht in solchen Behausungen«, sagte Rainier, dessen Stimme alles andere als wohlig klang.
»Ich früher schon«, sagte Surreal, die durch das Zimmer wanderte. Eine Welle des Ärgers wusch aus Rainiers Richtung über sie, doch sie fuhr fort, das Zimmer zu mustern. Sollte es hier nicht spuken? Obwohl sie jede Wette einginge, dass es Marian schon einen kalten Schauder über den Rücken gejagt hatte, sich das Haus bloß anzusehen.
»Lady Surreal, keiner von uns beiden lebt an einem solchen Ort.«
Es war mehr als Ärger. Rainier war wütend, dass jemand, selbst wenn es sich um Landenkinder handelte, denken könnte, die Angehörigen des Blutes fänden ein solches Haus behaglich.
»Nicht jetzt.« Surreal konzentrierte sich auf ein Porträt über dem Kamin. Stimmte etwas mit den Augen des Mannes
nicht? »Aber jedes Mal, wenn ich mich darauf vorbereitet habe, jemanden umzubringen, und nicht wollte, dass jemand von meiner Anwesenheit in dem betreffenden Teil des jeweiligen Territoriums erfuhr, bin ich ein paar Tage lang in einem leer stehenden Haus wie diesem hier abgestiegen.«
Manchmal hatte sie es vorgezogen, geheim zu agieren, anstatt in einem Haus des Roten Mondes zu wohnen und sich als Hure zu verdingen, was ihr anderer Beruf gewesen war – bis ihre neu gewonnenen männlichen Familienmitglieder ihr in aller Ruhe auseinandergesetzt hatten, dass jeder Mann, der von nun an zu ihr ins Bett stieg, dies besser zu ihrem Vergnügen täte, oder er würde es den kurzen Rest seines Lebens bereuen, seinen Schwanz zum Einsatz gebracht zu haben. Soviel also zu dieser Karriere. Nun gut, den Teil ihres Lebens hatte sie schon vor ihrer Ankunft in Kaeleer hinter sich gelassen, aber es war dennoch ärgerlich, vorgeschrieben zu bekommen, dass sie sich fortan im Ruhestand befand.
Dann bemerkte sie die Stille, und als sie sich von dem Porträt wegdrehte, erblickte sie sieben Kinder, die sie anstarrten.
»Du bringst Leute um?«, fragte das jüngste Mädchen.
»Ich bin früher Kopfgeldjägerin gewesen«, erwiderte Surreal unbekümmert. »Und zwar eine verdammt gute. Ich kenne alle möglichen Todeszauber.«
*Das war vielleicht ein bisschen mehr, als sie zu wissen brauchen*, sagte Rainier.
Da die Kinder sie ansahen wie Kaninchen, die eben einen Wolf zu Gesicht bekommen hatten, hatte Rainier wahrscheinlich Recht. Andererseits würden sie sich dank dieser Information vermutlich von ihr fernhalten und sich während des Rundgangs an ihn halten, und das war auch gut so.
Dann sah sie Rainier an. Seine Miene wies Surreal mit Nachdruck darauf hin, dass sie ihre Aussage unbedingt abmildern sollte.
»Aber ich bin mittlerweile im Ruhestand«, ergänzte Surreal. »Ich bringe keine Leute mehr um.« Jedenfalls nicht für Geld. »Ich bin Lady Surreal, und das hier ist Prinz Rainier.«
»Das sind komische Namen«, sagte der älteste Junge.
»Tatsächlich?« Rainiers Zähne knirschten so laut, dass sie sich Sorgen um seine Kiefer machte.
*Du hast sie eingeladen, uns zu begleiten*, sagte Surreal, was ihr einen wütenden Blick Rainiers einbrachte, bevor sie sich wieder den Kindern zuwandte. »Wie heißt ihr denn?«
Der älteste Junge, den sie als den dominanten Gockel bezeichnet hatte, hieß Kester. Sein Freund hieß Trist. Die anderen Jungen hießen Haywood, und wurde aus ihr unbegreiflichen Gründen Henn genannt, und Trout, dessen Gesicht errötete, als die anderen Jungen feixten. Doch er verbeugte sich trotzdem höflich vor ihr.
Das dominante Weibchen hieß Ginger. Ihre Freundin, die es darauf abgesehen hatte, ebenfalls zum dominanten Weibchen zu werden, hieß Dayle. Das jüngste Mädchen hieß Sage.
*Ist es bei den Landen üblich, ihre Kinder nach Nahrungsmitteln und Gewürzen zu benennen?*, fragte Surreal Rainier.
*Ich weiß es nicht. Vielleicht hatten ihre Mütter gerade Hunger, als sie sich für einen Namen entscheiden mussten. Oder vielleicht lügen die Kinder, was ihre Namen betrifft, weil sie es lustig finden.*
Eine Tür fiel krachend zu. Das Haus erbebte.
»Ich gehe nachsehen«, sagte Surreal und durchquerte das Zimmer, die Hand genau in der richtigen Haltung, falls sie ihren Dolch herbeirufen musste. Doch als sie die Salontür erreichte, befand sich lediglich der Hausmeister in der Diele. Er war gerade im Begriff, sich von der geschlossenen Eingangstür umzudrehen.
»So unhöflich«, murmelte er
Weitere Kostenlose Bücher