Die schwarzen Raender der Glut
Reserveoffiziere aus. Wieso eigentlich, überlegt Berndorf. Als Angehöriger des Jahrgangs 30 wird Zundt kaum gedient haben, aber vielleicht gibt es jetzt auch schon Bundeswehrmajore honoris causa. Außerdem macht sich die Totenwache gut. Richtig fesch. In der vordersten Bank, neben Staatssekretär Schlauff und dem Regierungspräsidenten, sitzt eine große Dame mit Wagenrad-Hut und schwarzem Schleier. Die Orgel intoniert »Jesus meine Zuversicht«, ein hagerer Pfarrer tritt zum Mikrofon neben dem Sarg und der Totenwache, und als die Orgel wieder schweigt und die Gemeinde begrüßt ist, betet er mit den Worten des 39. Psalms:
»Herr, lehre mich doch,
dass es ein Ende mit mir haben muss . . .«
Im Dezernat Kapitalverbrechen der Ulmer Polizeidirektion sitzt Kriminalkommissar Kuttler fluchend über dem Abschlussbericht im Fall der Frau, die – 3,7 Promille Alkohol im Blut – nachts ein Bad einlaufen lässt, beim Einsteigen in der Wanne ausrutscht, sich den Schädel bewusstlos schlägt und jämmerlich im parfümierten Schaumbad ertrinkt . . . »Wieso müssen sich jetzt auch schon Weiber dermaßen voll laufen lassen?« , will er von Tamar wissen, aber die blickt ihn nur ungnädig
an, weil sie sich mit allerhand Einwohnermeldeämtern herumärgern muss. Dabei will sie am Nachmittag freinehmen, Überstunden abfeiern. Liegt einem nicht ständig Englin in den Ohren, dass Freizeitausgleich so bald als möglich genommen werden soll?
Immerhin hat sie herausgefunden, was Florian Grassl getan hat, nachdem er den Erziehungsversuchen der Dorfjugend entronnen war. Grassl hat sich im Krankenhaus Reutlingen eine Platzwunde an der Augenbraue nähen lassen, was der behandelnde Arzt ihr mitteilen darf, ohne größere Skrupel wegen seiner ärztlichen Schweigepflicht zu empfinden.
»Hat er eine Schlägerei gehabt? Mir hat er erzählt, er wäre den Albtrauf hinuntergefallen.«
»So ganz falsch ist das nicht«, hatte Tamar geantwortet. »Da fallen manchmal wirklich Leute runter.«
Außerdem weiß sie jetzt, dass Grassl eine niedliche kleine Vorstrafe wegen Beleidigung und Hausfriedensbruch hat, vermutlich nachts in den Vorgarten und die Jalousie angehoben. . . Auch Berndorfs Sektenprediger Friedemann Wehlich, Verlagskaufmann von Beruf, weiß aus eigener Anschauung, dass wir allzumal Sünder sind, 1974 setzt es zehn Monate auf Bewährung wegen Betrugs und Untreue, ausgeworfen vom Schöffengericht Kaiserslautern, 1976 gibt das Amtsgericht Idar-Oberstein weitere vier Monate dazu, wieder wegen Betrugs und ebenfalls noch auf Bewährung, mit der es aber ein Ende hat, als Wehlich vom Landgericht Frankenthal – diesmal hat sich zum Betrug auch noch Urkundenfälschung gesellt – zu einer Gesamtstrafe von zweieinhalb Jahren verknackt wird. Danach nichts mehr . . .
»Kuttler – was machen eigentlich Verlagskaufleute?«
»Weiß nicht. Unverkäufliche Bücher zählen. Vielleicht Anzeigen akquirieren ...« Dann klingelt das Telefon und eine Sachbearbeiterin der Heidelberger Stadtverwaltung teilt mit, dass Ernst Moritz Schatte, geboren 1943 in Pirmasens, und Birgit Schiele, geboren 1949 in Offenburg, im Juni 1972 in der Heidelberger Hauptstraße 137b gemeldet waren.
In der Wieshülener Dorfkirche hat die Gemeinde das Vaterunser gesprochen, und aus der ersten Bank erhebt sich einer der Trauergäste und geht zum Mikrofon. Er ist mittelgroß und trägt Haare, die nicht eigentlich kurz geschnitten sind, aber doch so, dass die Partie über den Ohren frei geschoren scheint. Sein Blick gleitet über die Bankreihen bis hinauf zur Empore, als könne er jedes einzelne Gesicht erfassen.
Das also, denkt Berndorf, ist der Genosse Halt-das-mal. Das heißt, er war es. Denn jetzt spricht Professor Ernst Moritz Schatte, Universität Freiburg, er begrüßt die Notabeln, den Regierungspräsidenten, den Staatssekretär, den Landrat . . .
». . . verehrte Trauergemeinde, Mitbürger, Freunde, begraben will ich Cäsarn, nicht ihn preisen, sagt Antonius, und daran will auch ich mich halten, denn wie Cäsar dem Antonius war Gerolf Zundt mein Freund, war mir gerecht und treu . Doch, verehrte Trauergemeinde, welches Gewicht hat ein solches Zeugnis auf der unbestechlichen Waagschale des Höchsten Richters, dem wir uns alle stellen müssen . . .?«
Wie bestechen wir eine Waagschale, denkt Berndorf und betrachtet die Bauerngesichter um sich herum. Verschlossen und undurchdringlich geben sie den Blick zurück.
». . . Was Menschen Übles tun, das überlebt sie
Weitere Kostenlose Bücher