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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Brille mit großen runden Gläsern, wie das in diesem Jahr sonst überhaupt niemand trägt.
    Das sei ja wohl nahe liegend gewesen, murmelt Tamar. Sie ist etwas verlegen, vermutlich, weil sie um einiges zu spät gekommen ist. Zwischen Augsburg und Dachau war Stau auf der Autobahn, sodass sie über die Dörfer hatte fahren müssen. Nun muss sie warten, bis Schnappauf sein Referat gehalten hat. Zum Glück kennt diese Kerstin die Referate ihres Chefs bereits auswendig und hielt sich in der Rezeption auf, als Tamar eintraf. So kommt Tamar an ihrem freien Nachmittag wenigstens zu einem Spaziergang, und seltsam rasch hat sich dabei ergeben, dass sich Tamar und Kerstin mit dem Vornamen anreden.
    »Und dieser Zundt hat eine Art Akademie betrieben, also so etwas wie das hier, und der baden-württembergische Verfassungsschutz hat das überwacht?«
    So, wie du das sagst, haben die vermutlich auch einen Grund dazu gehabt. Gleich wirst du mir erzählen, dass das sicher alles seine Richtigkeit hat. Wozu fahr ich dumme Kuh hierher? Um dein schwarz-weiß gestreiftes Hemdblusenkleid zu bewundern? Es sitzt ein wenig knapp, Schätzchen.
    »Wissen Sie«, fährt Kerstin entschuldigend fort, »seit Giselher diese Geschichte über die Verfassungsschutzämter und Nachrichtendienste losgetreten hat, bekommen wir ständig solche Anrufe. Von Leuten, die sich verfolgt fühlen und jetzt entdeckt haben wollen, es ist der Verfassungsschutz. Und dann rufen auch wieder die ganz aufrechten Demokraten an, solche, die schon immer das Grundgesetz unterm Arm getragen haben, und fragt man nach, dann kommt heraus, dass das genau diejenigen sind, denen wir aber nun wirklich auf die Finger sehen sollten.«
    »Rufen sonst auch Leute an, die danach den Berg hinunterfallen und sich den Hals brechen?«, fragt Tamar.

    Kerstin bleibt stehen. »Nein, bisher allerdings nicht«, sagt sie und blickt durch ihre Brillengläser mit großen und nachdenklichen Augen zu Tamar hoch. »Deswegen finde ich ja auch, dass Sie mit Giselher reden sollen. Nur – es wird ihm gerade alles etwas zu viel.« Ein knappes Lächeln taucht auf ihrem Gesicht auf und ist auch schon wieder verschwunden.
    Er hat Schiss, willst du mir sagen. Die Brise spielt mit dem Laub der Uferbäume und lässt das Sonnenlicht flirren. Ein Lichtflecken tanzt über Kerstins Kleid und berührt für einen keuschen Augenblick den Ausschnitt, der den Ansatz heller runder Brüste zeigt.
    »Das heißt, wir müssen ihm einen klaren Ansatzpunkt geben«, sagt Kerstin und geht weiter. »Ein Ansatzpunkt, dem er sich nicht entziehen kann.«
    Wir müssen . Gewiss doch, meine Schöne. Warum sag ich eigentlich nichts?
    »Was hat dieser Zundt eigentlich getrieben? Mir ist das noch nicht ganz klar.«
    Mir auch nicht, denkt Tamar. »Es ist irgendetwas Rechtsgestricktes. Esoterik und Bücher in Frakturschrift«, antwortet sie. »Offen gestanden – ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es einen Grund geben muss, warum Zundt zu Ihnen wollte und nicht zu jemandem aus seiner eigenen Partei. Und ich weiß auch, dass er nicht von allein diesen Felsen heruntergefallen ist.«
    Sie sind am Ufer angelangt und bleiben stehen. Der See sieht grün aus und sanft. Vor der blauen Linie der bewaldeten Hänge am anderen Ufer treibt ein weißes Segel.
    »Ich kann Sie gut verstehen«, sagt Kerstin zögernd. »Sehr gut sogar. Nur ist es der Staatsanwalt, der sich darum kümmern müsste. Es wäre sehr problematisch, wenn sich Giselher da einmischen würde . . .«
    Ja, Süße. Der Staatsanwalt müsste sich darum kümmern. Nur wird er es nicht tun. Täte er’s, hätte ich nicht hierher fahren müssen, Hemdblusenkleider bewundern. »Ich weiß nicht, ob man das Einmischung nennen sollte«, antwortet Tamar sanft. »Haben Sie nicht daran gedacht, dass Ihr Chef unmittelbar
betroffen sein könnte? Vielleicht ist er sogar persönlich in Gefahr . . .«
    »Das verstehe ich nun wirklich nicht«, sagt Kerstin, und die Augen hinter den großen Gläsern blicken befremdet.
    Was hast du nur für eine große Brille. »Sehen Sie, Kerstin – ich habe das Blatt aus dem Bundestagshandbuch mit den Angaben über Schnappauf bisher nicht finden können. Es ist nicht bei Zundts Papieren, und es ist nicht bei der Leiche. Jemand hat es weggenommen?«
    Jetzt blicken Kerstins Augen nicht mehr befremdet, sondern vor allem ratlos.
    »Wer immer das Blatt an sich genommen hat, weiß, dass Zundt zu Ihnen Kontakt aufgenommen hat. Und will vielleicht nicht, dass das bekannt wird.

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