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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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/ das Gute wird mit ihnen oft begraben  – auch dies sagt Antonius, auch dies gilt noch heute, zumal für einen Menschen, der – wie Gerolf Zundt – sich unerschrocken dem Zeitgeist entgegengestellt hat, einem Zeitgeist, der die Hirne so verklebt, wie es der Chewing Gum mit unseren Gehsteigen tut, einem Zeitgeist, der die deutsche Muttersprache zum Kauderwelsch der vorgeblichen political correctness verhunzt und der das Land des Johann Sebastian Bach überzieht mit einem unstillbaren Lärmteppich, aus dem wir vielleicht noch die Bongo-Trommeln heraushören können, aber nicht mehr den Geist, der die Kunst der Fuge geschaffen hat ... Hier zögere ich, denn ich weiß nicht, ob Gerolf Zundt dies alles ebenso scharf ausgesprochen hätte. Der klarsichtige Deuter der Zeit und ihrer über den Tag hinaus zielenden Strömungen hat es vorgezogen, mit dem Florett
zu kämpfen, nicht mit der Hellebarde, er war jemand, der in der Stille gewirkt hat, der in der Stille wirken musste, um den Auftrag nicht zu gefährden, den er von eben jenem unvergessenen Johannes Grünheim übernommen hat, an dessen Seite wir ihn nun zur Ruhe betten werden. Und doch, verehrte Trauergemeinde! Es ist an der Zeit, die Stimme zu erheben gegen eine neuerliche Umerziehung, gegen eine Kolonisierung unseres Landes und seiner Kultur, es ist Zeit geworden, aufzustehen, und ganz gewiss hätte sich der Verstorbene . . .«
    Er hätte. Also hat er nicht, denkt Berndorf. Nicht so ganz. Hat sich nicht recht aus der Deckung gewagt. Aber jetzt ist wieder die Zeit, wenn ich das richtig verstanden habe.
     
    »Wohlauf, wohlan, wie Gott es will!«, sagt der Pfarrer, »zum letzten Gang in Jesu Namen . . .« Die Kameraden Reserveoffiziere nehmen den Sarg hoch und fädeln sich damit in den schmalen Gang zwischen den Bankreihen ein, dabei kommen sie zu weit nach rechts und rumpeln gegen die Bank, sodass sie einen neuen Anlauf nehmen und zurückstoßen müssen. Nur um Haaresbreite werden dabei die zwei mannshohen Kerzenleuchter vor dem Altar nicht umgesemmelt. Aber dann schaffen sie die Überreste des Gerolf Zundt doch noch zwischen die Bankreihen und zur Kirche hinaus. Die verschleierte Witwe folgt, vom Regierungspräsidenten geleitet, die anderen Notabeln schließen sich ihr an, auf der Empore warten die Bauern und sonstigen Männer aus dem Dorf, dazwischen Berndorf, den Herrschaften aus der Stadt den Vortritt lassend. Noch hat Wieshülen keinen neuen Friedhof anlegen müssen, und auch für Gerolf Zundt findet sich ein Platz in der schlichten, aber unübersehbaren Familiengrabstätte der Grünheims, gleich an der Kirchenmauer, wo nun der Totengräber seinem Handwerk nachgeht und den Sarg herunterlässt, sodass die Trauergemeinde sich daranmachen kann, Abschied zu nehmen und die lehmig-steinigen Schollen der Alb zu jener Erde zu geben, die Gerolf Zundt nun wieder werden soll.
    Auch Berndorf wirft pflichtschuldig eine Schaufel dazu,
Tote lassen sich alles gefallen, sogar, dass man sie in einen engen Kasten steckt, ein Rosmarin auf der kalten Brust oder eine Raute , wie den armen reichen Herrn Kannitverstan, und dass man sie begräbt und zuschüttet, bis man nichts mehr sieht von ihnen und nichts mehr riecht.
    Berndorf drückt der Witwe die Hand, dann geht er zur Seite. Zwischen den Gräbern stehen Trauergäste im Gespräch, wie es sich fügt, bleibt er stehen, wo Professor Schatte gerade halblaut einer jungen Frau einige Anweisungen gibt, die junge Frau trägt ein schwarzes Kostüm und über beide Ohren halblang herunterfallende flachsfarbene Haare.
    Schatte blickt hoch, Berndorf stellt sich vor. »Professorin Barbara Stein hat gemeint, Sie könnten mir behilflich sein – ich glaube, sie hat deswegen auch schon in Freiburg angerufen. . .«Schatte blickt ihn aus kunststoffblauen Augen an, es ist ein durchdringender Blick und einer, der abwehrt. Trug er nicht früher eine Brille? Mit einer Handbewegung schickt er die Flachsfarbene weg und wendet sich Berndorf zu.
    »Ich will meine alte Kollegin Barbara nicht enttäuschen – aber sind Sie ganz sicher, dass das hier der angemessene Ort ist für das, was immer Sie von mir wollen?«
    »Sicher nicht«, antwortet Berndorf. »Aber es wäre albern gewesen, Sie nicht anzusprechen, nachdem ich Ihnen hier über den Weg gelaufen bin.«
    »So, sind Sie das?«
    »Ich bin nicht wegen Ihnen hier.« Berndorf lächelt vage.
    »Zu diesem Ort habe ich die eine oder andere Beziehung. Deshalb . . .«
    Ein kurzes Zucken verzieht Schattes

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