Die schwarzen Raender der Glut
untergebracht.
Die blieben dort aber nur bis Anfang der Fünfzigerjahre, und eines Tages war Grünheim wieder hier, und es kam heraus, dass der Gutshof ihm gehörte, alles ordentlich im Grundbuch eingetragen und noch mit Reichsmark bezahlt. . .«
Berndorf nickt. Ein Chaldäer also, kein Zweifel.
»Und seither will ich doch gern wissen«, schließt der Prophet, »was mit dem Gutshof ist und was dort geschieht . . .«
Die Deckenlampen im großen Saal werden heruntergedimmt, von draußen fällt das letzte Licht des Sonnenuntergangs herein und lässt die Glasfenster mit den Heldengestalten abendrot aufleuchten. Florian Grassl sitzt am Kopfende des langen schwarzen Tisches, neben ihm steht der Fuchsmajor der Suevo-Danubia, ein stämmiger, untersetzter cand. jur., der nun zu den einführenden Worten ansetzt . . .
»Vom Elsass, Kommilitonen, kennt ihr den Pinot noir und den Gewürztraminer und den Riesling, seid vielleicht schon einmal schnuckelig Essen gegangen in Rappoltsweiler oder Reichenweiher, falls die neue political correctness nicht gebietet, Ribeauville und Riquewihr zu sagen, habt euch sogar den Isenheimer Altar angesehen oder das Colmarer Klein-Venedig – und vielleicht habt ihr euch da einmal überlegt, was das für ein Land ist, ist es Frankreich? Warum sprechen dann noch so viele der Menschen dort nicht Französisch, sondern einen alemannischen Dialekt? Aber was ist es, wenn es nicht Frankreich ist? Darüber wird uns jetzt Dr. Florian Grassl einiges erzählen, er ist Politologe und Literaturwissenschaftler, ein ausgewiesener Kenner einer deutschen Kultur, die deutsch zu nennen man uns lange Zeit auszutreiben versucht hat . . .«
Grassl verbeugt sich freundlich und ordnet die Manuskriptseiten, auf denen er am Nachmittag seine Gedanken und die Zitate dazu zusammengeschrieben hat. Den meisten Platz nehmen die Zitate ein, zum Glück hat er einen Einleitungssatz gefunden, der von René Schickele stammt und also irgendwie nicht zu beanstanden ist, Vogesen und Schwarzwald seien wie
die zwei Seiten eines aufgeschlagenen Buches, ein praktischeres Motto für ein Referat kann sich keiner ausdenken, man liest aus der einen Seite vor und dann aus der anderen, es ist alles möglich, sagt der Herr Präsident in Johann Peter Hebels Kalendergeschichte vom Wolkenbruch in Türkheim . . . Die Geschichte hat er in einem Almanach entdeckt, und weil sie damit beginnt, wie schon zu Hebels Zeiten einer einen Streifzug auf Wein ins Elsass tut, liest Grassl sie vor, und während er sie vorliest, gefällt ihm der Satz des Präsidenten immer besser, sein Publikum scheint auch zufrieden, rosenfarbene Heiterkeit steigt in ihm hoch, und so traut er sich, auch noch ein kleines Gedicht von André Weckmann vorzutragen:
was seid ihr nun
het de schwob gfroit:
Franzosen oder Elsässer?
Elsasser
het de elsasser xait
also seid ihr keine Franzosen
het de schwob xait
un esch d deer nüsgflöjje
Das Gedicht kommt nicht so gut an, vielleicht liegt es daran, dass er sich mit dem Dialekt schwer tut, vielleicht missfällt der Inhalt, jedenfalls merkt Grassl, dass er noch etwas für die Stimmung tun muss, und er liest rasch noch aus Oskar Wöhrles Kriegsbuch die Geschichte vom betrunkenen bayerischen Trompeter vor, der in der masurischen Kälte erfroren ist:
. . . und nun umgeht ohne Glück und Ruhe. Wie ein Soldat marschiert, folgt er ihm als Schatten. In die Schützengräben geht er hinein und in die Unterstände, und wo er Schnaps sieht, nimmt er das Glas vom Bord und schüttet es aus.
Die Elsässer haben den Spuk zuerst gemerkt; und wenn sie jetzt ihren Kognak verwahren, treiben sie der Vorsicht halber einen festen Kork in die Flasche.
»Sonst säuft’s der Trompeter aus!«, sagen sie.
Das wieder gefällt, und Grassl redet weiter und weiter und irgendwann verbeugt er sich und dankt für die Aufmerksamkeit. Erst jetzt merkt er, dass er sein Hemd nass geschwitzt hat.
Franziska kommt vom Mannheimer Schloss, von der Antrittsvorlesung eines Steuerrechtlers. Wenn sie ihn richtig verstanden hat, will der neue Prof die Kinderaufzucht steuerrechtlich als Gewerbe behandelt sehen, weil nur so die wirklichen Kosten in Anschlag gebracht werden könnten . . . Vielleicht kann sie ein niedliches Feature daraus machen. Aber nicht mehr heute. Heute ist Feierabend. Über die Planken bummeln noch Passanten, junge Leute auf Inline-Skates fegen an ihr vorbei, eine Gruppe Indios flötet und trommelt in den linden Sommerabend, ein
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