Die schwarzen Raender der Glut
Impressum entnimmt, Herausgeber ist ein Hilfswerk St. Odilien in Zusammenarbeit mit der Johannes-Grünheim-Akademie, presserechtlich verantwortlich zeichnet Gerolf Zundt. Die Hefte enthalten jeweils einen oder zwei Aufsätze, zumeist zur Kunst- und Literaturgeschichte des Elsass, Farbbilder zeigen Trachtengruppen beim Tanz, fotografiert von Zundt höchstselbst, und mundartliche Gedichte gibt es auch, Berndorf versucht, eines davon zu lesen:
O Heimet in der Farne, bli
Dann trej, wo dir nit trej gsi isch!
So reden die armen Leute dort?, überlegt Berndorf, zuckt mit den Schultern, holt seinen Notizblock heraus und notiert sich die Namen der Autoren. Mag sein, dass die Autoren unverdächtig sind, denkt er dann. Aber diese Festgaben sind es nicht. So aufwendig gedruckt wie der Jahresbericht der Deutschen Bank. Wer treibt da was im Elsass? Ich muss Barbara anrufen. Vielleicht kennt sie jemanden dort.
»Von der Grünheim-Akademie habe ich eine ungefähre Vorstellung«, sagt er dann. »Zwei Tagungen im Jahr, das Publikum gut situierte Herrschaften, die dafür sind, dass in den Schulen wieder Goethe-Gedichte auswendig gelernt werden – irgendetwas in der Art. Aber von diesem Hilfswerk St. Odilien habe ich noch nie gehört.«
»Sollten Sie auch nicht«, antwortet Seifert. »Das Hilfswerk fördert deutsche Sprache und Kultureinrichtungen im Elsass. Sagt Zundt. Dafür sammelt er Spenden. Überall im Land. Bei Leuten, die ein Geld dafür haben und die rechte Gesinnung. Das Ganze ist vertraulich und geheim, weil die Franzosen es sich sonst verbeten haben wollten.«
Berndorf wartet, aber Seifert scheint der Ansicht zu sein, dass er vorerst genug mitgeteilt hat.
»Und diese Aufsätze hier« – Berndorf deutet auf die Hefte – »sind Vorträge, die auf den Tagungen gehalten worden sind?« Seifert schüttelt den Kopf. »Keine Vorträge. Alles Nachdrucke, und die Verfasser seit Jahrzehnten tot.«
Berndorf sieht ihn scharf an, und über des Propheten strenge Züge huscht ein verlegenes Lächeln.
»Wer einmal Polizist war . . .« Seifert lässt den Satz unvollendet. »Irgendwann wollte ich doch auch wissen, was es mit der Grünheim-Akademie und dem Hilfswerk auf sich hat«, fährt er schließlich fort. »Ich habe lange herumsuchen müssen, und erst in der Stuttgarter Landesbibliothek habe ich schließlich den einen oder anderen Namen gefunden.« Wieder lächelt er. »Fast alles waren Namen aus der Vorkriegszeit,
manche aus der Zeit vor 1918 . . . Eigentlich hätte ich es schon daran merken müssen, wie diese Aufsätze geschrieben waren.«
»Und da fahren Sie also nach Stuttgart und gehen in die Landesbibliothek ... Das ist nicht der nächste Weg. Sie müssen einen Grund gehabt haben, das zu tun.«
Die Augenbrauen heben sich und geben den Blick auf sehr helle Augen frei. »Sicher gibt es den, und er hat mit dem Gut zu tun. So sagen wir im Dorf, denn es war ein Gut, bis es in den Zwanzigerjahren auf die Gant kam und die Äcker an die Bauern hier im Dorf versteigert wurden. Das Gutshaus hat dann ein Reutlinger Unternehmer erworben, aber der war Jude, und nach 1933 hat man es ihm abgenommen. Wie man das damals gemacht hat, aber mit Kaufvertrag . . . 1940 zog dann Johannes Grünheim auf, ein Schulungsleiter der Partei, und hat ein Heim für Kinder aus dem Elsass eingerichtet. Kinder, deren Eltern als nicht so recht zuverlässig galten . . .«
»Die Kinder waren Geiseln?«
»So wird man es nennen müssen.« Seifert richtet sich auf. »Ich erinnere mich gut an die kleinen Franzosen, ich war ja in ihrem Alter. Sie trugen alle das gleiche dünne Baumwollzeug, und manche bettelten im Dorf, was ihnen verboten war . . . Sie würden nicht aus Hunger betteln, sondern aus Bosheit, hat Grünheim behauptet, als ihn eine Frau aus dem Dorf zur Rede gestellt hat.« Er macht eine Pause, und sein Blick senkt sich.
Es wird Seiferts Mutter gewesen sein, die gefragt hat, geht es Berndorf durch den Kopf.
»Ja«, fährt Seifert fort, »und dann ist der Koloss von seinen tönernen Füßen gestürzt und hat die Chaldäer unter sich begraben, oder besser: manche von ihnen, und der Johannes Grünheim hätte eigentlich auch dazugehören sollen. Aber als die Franzosen kamen, hat er die Kinder Aufstellung nehmen und das Allons-Enfants singen lassen, und die Franzosen haben ihn nicht aufgehängt. Zwar erschien nach ein paar Wochen dann doch die Gendarmerie und steckte ihn in ein Internierungslager, und im Gutshof wurden Flüchtlinge
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