Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
wedelt zur Tür.
    Berndorf steht auf und nimmt den Zettel. Er überlegt sich einen Satz, in dem Worte wie Inkompetenz, Ahnungslosigkeit, Blindheit und verschiedene andere Defekte der Sinnesorgane vorkommen. Aber auf die Schnelle will ihm das alles nicht zu einer schlüssigen Darlegung gerinnen, außerdem fällt ihm Hebels Salzwedeler Hauswirt ein, der einen Sundgauer als Einquartierung bekam und eine gewaltige Ohrfeige dazu, und so verbeugt er sich und geht hinaus und verlässt die Präfektur. Es sind doch verdammt höfliche Leute, diese Franzosen, denkt Berndorf dabei. Aber was zum Teufel ist ein fanfaron ? Ein Blechbläser?
     
    Tamar, vor einer halben Stunde aus dem Krankenhaus heimgekommen, liegt auf der Couch im Wohn- und Malzimmer, eingewickelt in eine Wolldecke, ihr Kopf und der weiße Turban, den sie um den Kopf hat, ruhen auf einem Kissen. Durch die kleinen, von Sprossen geteilten Fensterscheiben sieht sie, dass es draußen bedeckt ist, manchmal geraten die Blätter des Birnbaums aufgeregt ins Zittern, wenn ein Windstoß unter sie fährt . . .
    Hannah kommt herein und schleppt eine weiße Bettdecke an, zum Schwitzen im Februar, als frau ein kleines Mädchen war und Grippe hatte.
    »Hast du sie nicht mehr alle? Willst du mich jetzt ersticken?« Hannah lässt die Decke sinken. »Ich dachte nur . . .« Sie fährt sich über die Augen. »Entschuldige. Ich mach alles nur noch falsch.«

    »Hör auf rumzuflennen. Setz dich lieber zu mir her.«
    Ein Blick, tränenumflort. »Ich hab so Angst, dass es bei mir auch . . .« Der Satz bleibt unvollendet.
    Sie meint die Geschichte mit ihrem Vater, denkt Tamar. »Solang’ ich hier keine Rasiermesser im Haus finde, geht es ja noch.«
    »Du machst dich lustig über mich.«
    »Heute Morgen ist das eine der leichteren Übungen.«
    Hannah setzt eine heroische Miene auf. »Soll ich dir das Telefon bringen? Magst du Kerstin anrufen? Du musst es nur sagen, dann geh ich so lange raus.«
    »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich mit Kerstin nichts am Hut habe«, sagt Tamar entschieden. Zu entschieden, denn irgendwie fährt ihr plötzlich ein heftiger Schmerz durch den Kopf. »Und falls Kerstin zufälligerweise anrufen sollte, bleibst du bitte dabei, weil das eine dienstliche Geschichte ist, wichtig für mich und wichtig für den Alten Mann . . .«
    Wird ja auch wahr sein.
     
    Die Kellner bringen die Schüsseln für den zweiten Gang, das Licht der Kerzen auf dem Tisch spiegelt sich in den runden silbernen Haubendeckeln, unter denen eine Forelle blau aus einem Vogesen-Bach für Berndorf zum Vorschein kommt und ein T-Bone-Steak vom Angoulême-Rind für Marckolsheimer. Der Abend ist kühler als an den Tagen zuvor, immer wieder fahren Windböen in die Markisen, Berndorf und Marckolsheimer haben sich deshalb nicht auf die Terrasse gesetzt, sondern einen Tisch im Innenraum der Brasserie genommen.
    Nach seinen Gesprächen in der Präfektur hatte sich Berndorf ein Hotel in Nähe der Place Kleber gesucht und danach Marckolsheimer angerufen, der bereits durch Barbara von seinem Kommen unterrichtet war. Marckolsheimer, ein kleiner, grauhaariger Herr mit melancholischen Augen, die die Welt eulenhaft und erstaunt durch eine große runde Brille wahrnehmen, hat ihn dann am Abend im Hotel abgeholt und zu der Brasserie geführt.

    Berndorf fühlt sich müde, abgespannt und doch erleichtert. Diesmal wenigstens sitzt er einem Menschen gegenüber, mit dem er sich ohne Berechnung unterhalten kann, zwanglos und ungeschützt. Vielleicht, so überlegt er, rührt das Staunen in den Eulenaugen daher, dass sie das Unverständnis nicht verstehen, die Unfähigkeit der Menschen, ihre Angelegenheiten einvernehmlich zu regeln.
    Berndorf filetiert seine Forelle selbst, man plaudert, über den Regierungsgipfel, über die neue Berliner Republik und ihr noch immer nicht festgestelltes, noch immer nicht austariertes internationales Gewicht, über die Neue Rechte, die doch nur die Alte Rechte ist, wie Berndorf meint, unter einer Maske, die ihr mittlerweile selbst überflüssig erscheine . . .
    Er sehe das etwas anders, meint Marckolsheimer: »Leider hat die Linke hier ein Wahrnehmungsproblem, denn es gibt die Neue Rechte wirklich. Neu daran ist vor allem, dass sie sich aus Milieus rekrutiert, die wir lange Zeit als links anzusehen gewöhnt waren. Denken Sie nur an Ernst Moritz Schatte in Freiburg, der jetzt nicht mehr gegen den US-Imperialismus predigt, sondern gegen die amerikanische Überfremdung . . . Natürlich

Weitere Kostenlose Bücher