Die schwarzen Raender der Glut
ganz ferne, am anderen Ende der Telefonverbindung, jemand die Augenbrauen hochzieht.
»Wie du meinst«, kommt es kühl durch den Hörer. »Hast du was zu schreiben? Du hast mich nach deinem Besuch in Wieshülen um Informationen über die Autonomisten-Szene im Elsass gebeten. Ich hab dir hier die Adresse und die Telefonnummer eines Kollegen, der dir etwas darüber erzählen kann.« Berndorf klemmt sich das Handy mit der Schulter ans Ohr, kramt eine Visitenkarte aus seiner Brieftasche und schraubt seinen Füller auf.
»Du solltest Raymond Marckolsheimer aufsuchen, er hat einen Lehrauftrag am Staatswissenschaftlichen Institut der Universität Strasbourg III, das ist die Université Richard Schumann, seine Telefonnummer ist 0-0-3-3, also die Vorwahl für Frankreich, dann 3-8-8, kommst du mit . . .?«
Berndorf notiert die Zahlen, die Barbara ihm durchgibt. »Bleib mal dran«, sagt er dann und sucht den Zettel heraus, den er gestern Abend Kai von der kaputten Schulter abgenommen hat. Auf dem Zettel steht nichts weiter als eine Zahlenreihe mit neun Ziffern, zu viel für eine normale Telefonnummer ohne Vorwahl, jedenfalls beginnt die Zahlenreihe nicht mit einer Null, sondern mit 3-8-8, Berndorf hat das für eine Chiffre gehalten, wie sie in Kai Habrechts Milieu ihre besondere Bedeutung hat, vielleicht nicht nur für Autokennzeichen. . .
»Sag mal, ist 3-8-8 die Vorwahl für Strasbourg?«
»Ich nehme an«, antwortet Barbara verwundert, »in Frankreich wirst du aber erst eine Null wählen müssen . . .«
»Danke«, sagt Berndorf fröhlich, »du hast mich vor einem blamablen Fehler bewahrt.«
Hubert Höge steuert den Peugeot in die Einfahrt und hält und sucht mit noch immer zitternder Hand nach der Fernbedienung fürs Garagentor und drückt darauf, aber irgendwie handhabt er das Gerät nicht richtig, nichts bewegt sich am Tor, er versucht es noch einmal, die Batterie wird leer sein, warum soll an einem Tag wie diesem nicht auch noch die Fernbedienung ausfallen, jetzt kommt es darauf auch nicht mehr an, alles in einem Aufwasch, wie? Er zieht den Zündschlüssel ab und nimmt seine Tasche vom Beifahrersitz, auf der Rückbank steht der Karton mit seiner Geige und dem Metronom und dem anderen persönlichen Kram, den er unter Aufsicht der otternbissigen Sekretärin aus seinem Schreibtisch hat ausräumen müssen . . .
Er will aussteigen, aber als er die Wagentür öffnet, fällt ihm ein, dass er jetzt Birgit berichten muss, was an diesem Vormittag geschehen ist, wie man ihn ins Direktorat zitiert hat, was ihm die Otternbiss gesagt hat, warum sie ihn suspendiert haben. . . Wieder spürt er den Schweißausbruch auf seiner Stirn. Alles das soll er einer Birgit erklären, die krank im Bett liegt? Außerdem – was heißt hier erklären? Wie soll man etwas erklären,
von dem man nichts weiß, nichts versteht, nichts begreift?
»Nehmen Sie sich einen guten Anwalt«, hatte ihm Heuchelmanns Henker zum Abschied gesagt, »einen sehr guten, Sie werden ihn brauchen . . .« Angeblich hatten bereits am Vormittag drei angesehene Heidelberger Familien, deren Töchter Bettina hießen, Schadenersatzklagen angedroht. Nur zu, denkt Höge, klagt nur, gleich wird jemand kommen und sagen, das ist alles nicht wahr, es sind alles nur Traumgespinste, die drei Bettinen und Heuchelmanns Henker und die Otternbiss. . .
Er steigt aus dem Wagen und geht mit seiner Tasche zur Haustür. Seine Hände zittern doch noch, denn er kriegt den Schlüssel nicht ins Loch, was soll das? Er betrachtet seine Hände, eigentlich sind sie ganz ruhig, er versucht es noch einmal, der Schlüssel passt nicht, ist das überhaupt sein Haus? Erst jetzt sieht er den Brief, der mit einem Klebestreifen an der Tür befestigt ist und auf dem in Birgits runder Schrift sein Name steht. Mechanisch löst er den Brief ab und öffnet ihn, beim Öffnen zerreißt er den Umschlag fast in Stücke, dann setzt er sich auf die Treppenstufen und liest:
Hubert, nach dem Vorgefallenen sollte selbst dir klar sein, dass es für uns kein Zusammenleben mehr gibt. Ich wünsche dir, dass du an Bettina den Rückhalt findest, den du brauchst, gerade in den Zeiten, die jetzt auf dich zukommen. In der Anlage findest du die Auftragsbestätigung der Spedition, von der ich deinen Flügel und dein sonstiges privates Eigentum habe abholen lassen. Sobald du eine neue Anschrift hast, teile sie mir bitte mit, damit mein Anwalt sich mit dir ins Benehmen setzen kann. Birgit
PS. Die Schlüssel am Haus sind
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