Die schwarzen Raender der Glut
kann sich auch so jemand auf sehr respektable Zeugen berufen, die amerikanische Hegemonie, die auf vielen Feldern besteht, beginnt wirklich sehr hässliche Züge anzunehmen. Allerdings mögen manche in Ihrem Land die Amerikaner vor allem deshalb nicht, weil es GIs waren, von denen die Großeltern an den Leichenfeldern in Buchenwald vorbeigeführt wurden . . .«
Später kommen sie auf die Situation des Elsass zu sprechen, auf die autonomistische Szene und ihre möglichen Querverbindungen nach Deutschland. Eigentlich sei diese Szene kein Thema, sagt Marckolsheimer: »Das sind Splittergruppen, und sie sind von der Geschichte bis heute diskreditiert. Das ist im Elsass eben anders als in der Bretagne oder in Occitanien – bei uns würde eine Abwendung von Frankreich zwangsläufig mit einer Hinwendung zu Deutschland assoziiert, und im Bewusstsein des Elsässers steht Deutschland noch immer für
Krieg und Nazismus.« Er zögert kurz. »Übrigens hat das Auftreten Ihrer Landsleute, die sich hier ein kleines schmuckes Häuschen kaufen, diese Einschätzung keineswegs eine freundlichere werden lassen. Einer unserer Autonomisten will deshalb neuerdings aus Elsass-Lothringen eine Art Österreich machen, vermutlich will er es haiderisieren, wirklich sehr komisch. Aber er vermeidet so das Reizwort Deutschland . . .« Berndorf bestellt sich einen Espresso und denkt lieber nicht darüber nach, ob er ein haiderisiertes Elsass würde komisch finden können.
»Die Linke und das Elsässer Bürgertum sind für die Autonomisten praktisch nicht ansprechbar«, fährt Marckolsheimer fort, »und die rechte Klientel wird ihnen durch den Front National abgegraben. Was tun? In ihrer Verzweiflung und auf der Suche nach neuen Bündnispartnern hat ein Teil des autonomistischen Milieus beim Streit um den Bau einer Moschee in Strasbourg unversehens die Partei der Nordafrikaner ergriffen, weil diese doch auch Opfer des Pariser Zentralismus seien. Weiß der Himmel, welche Konstellationen sich da noch zusammenbrauen werden . . .«
Der Espresso ist gekommen, und Berndorf nimmt einen vorsichtigen Schluck. »Sagen Sie, könnten Sie mir ein paar der Leute aus dieser Szene nennen? Sie sollten allerdings in Strasbourg wohnen.« Wieder zeigt er den Zettel, den er Habrecht abgenommen hat. »Es würde mich interessieren, ob man diese Telefonnummer einem von ihnen zuordnen kann.«
Marckolsheimer wirft einen Blick auf den Zettel. Er müsse sowieso noch einmal in sein Institut, meint er dann. Ob Berndorf ihn nicht begleiten wolle? »Wir können im Internet nachsehen. Es gibt ganze Netzwerke dieser Leute.«
Berndorf hat dann aber noch eine Bitte. Er holt aus seiner brüchigen Aktentasche die drei Hefte der Festgaben für Heimat und Volkstum , die er sich aus Seiferts Wieshülener Gemeindebibliothek entliehen hat, und zeigt sie seinem Gegenüber. Marckolsheimer blättert die Hefte durch, erst amüsiert, dann stirnrunzelnd.
»Sagen Sie mir bitte, was das ist?«
Berndorf erzählt von Johannes Grünheim, von dessen Schwiegersohn Gerolf Zundt und von der in den Buchenwäldern am Albtrauf verborgenen Akademie. »Eigentlich hoffte ich, Sie könnten mir sagen, wo diese Hefte verbreitet werden und von wem.«
Marckolsheimer blickt verwundert zu ihm hoch. »Grünheim und sein Internat für elsässische Kinder, die nazifiziert werden sollten, sind mir allerdings ein Begriff. Dass nach ihm eine Akademie benannt ist . . .« Er lässt den Satz unvollendet. »Offenbar gibt es Leute mit unheilbar gutem Gewissen. Übrigens muss diese Akademie sehr diskret arbeiten, im Elsass jedenfalls hat man von ihr noch nie gehört, sie hätte sonst ganz gewiss ein sehr lautstarkes Echo gefunden . . .«
»Sie haben auch keines dieser Hefte bisher zu Gesicht bekommen?«
»Bestimmt nicht. Eine solche Kuriosität wäre mir sofort aufgefallen. Diese Aufsätze sind mittelmäßige Ausgrabungen, spätes 19. Jahrhundert und längst überholt, sofern sie heimatkundliche Themen behandeln. Wenn der Offsetdruck und die Fotos nicht wären, könnte man sie für eine eilige Zusammenstellung aus dem Jahr 1940 oder 1941 halten, als man händeringend deutsche Texte brauchte . . .«
Freitag, 7. Juli
Berndorf sitzt in dem Peugeot, den er sich am Morgen gemietet hat und der zwischen einem Kastenwagen und einem altersrostigen Simca am Straßenrand geparkt ist, einige 30 Meter von der Philatélie Charles Roos entfernt. Er sieht die Zeitungen durch, die er sich auf dem Weg vom Hotel zur Mietwagengarage in
Weitere Kostenlose Bücher