Die schwarzen Raender der Glut
Homepage des Oberstudienrats, auf der dieser bisher vor allem Konzerte und neue Plattenaufnahmen besprochen hat, findet sich ein Link zu dem privaten Tagebuch des Erziehers. Geschildert wird darin die Beziehung zu einer seiner Schülerinnen, die der verheiratete Pädagoge beim Vornamen nennt und zu der er sich unter anderem auch auf dem Flügel in der Musikaula der Schule hingezogen gefühlt haben soll .
»Wir müssen leider bestätigen, dass unsere Schule in einen empörenden Zusammenhang mit einer solchen Homepage gebracht worden ist«, erklärte gestern die Direktorin des Gymnasiums, Hildegard Bohde-Riss. Auf Nachfrage bestätigte sie außerdem, dass eine der Lehrkräfte des Gymnasiums bis zur Klärung der Vorwürfe beurlaubt worden sei. »Der betreffende Pädagoge bestreitet aber, Autor dieses Tagebuchs zu sein. Und
nachdrücklich bestreitet er auch, je eine intime Beziehung zu einer seiner Schülerinnen gehabt zu haben.«
Die auch anatomisch detailreiche Schilderung hat inzwischen mehrere Rechtsanwälte auf den Plan gerufen. Sie vertreten Familien mit Töchtern, die alle das fragliche Gymnasium besuchen und den gleichen Vornamen tragen wie der in dem Internet-Tagebuch genannte . . .
Merkwürdig, denkt Berndorf. Diese Birgit Höge ist doch mit einem Musiklehrer verheiratet . . .
Die gläserne Fensterfront des Büros, das Florian Grassl an diesem Morgen aufgesucht hat, lässt den Blick über den Taunus schweifen und über die Wolken, die über den Großen Feldberg hinweg gen Osten segeln.
»Sie haben Verständnis, dass wir uns auf dieses Gespräch vorbereitet haben«, sagt der Mann hinter dem Schreibtisch. Wieder hat der Schreibtisch eine dieser gläsernen Platten, die das leere aufgeräumte Nichts spiegeln. Der Mann dahinter hat diesmal kurze blonde gekräuselte Haare, die eine ausgeprägte Stirnglatze säumen, und einen aufgezwirbelten Schnurrbart.
»Ich wäre enttäuscht«, sagt Grassl heiter, »wenn Sie das nicht getan hätten.«
Der Mann mit der Stirnglatze nickt, etwas überrascht, greift zum Hörer und sagt, der Kollege – dessen Namen Grassl nicht versteht – könne jetzt kommen. Dann lehnt er sich zurück, so dass sein aufgezwirbelter Schnäuzer sich noch selbstgefälliger ins Licht reckt.
»Unter anderem haben wir bei unseren Kollegen von der anderen Baustelle angerufen. In den zwei gläsernen Türmen, Sie verstehen. Wir wollten uns vergewissern, ob Sie vielleicht dort schon vorgesprochen haben.« Der Schnäuzer zuckt. »Sie haben.«
»Das kann Sie kaum wundern«, antwortet Grassl. Kalt bis ans Herz bleiben. Die Tür öffnet sich, schweigend betritt ein schmalbrüstiger dünnhaariger Mensch den Raum, nimmt sich einen Stuhl und setzt sich neben den Schreibtisch.
»Ich habe einen Kollegen unserer Rechtsabteilung dazugebeten«, sagt der Schnauzträger. »Der Kollege hat ein kleines Papier vorbereitet. Sie werden es unterschreiben. Es ist nur die Bestätigung, dass Sie uns gegenüber einen Doktortitel angegeben haben, der Ihnen nicht zusteht, und dass Sie ferner wegen einer bankgeschichtlichen Untersuchung vorgesprochen haben, zu der Sie in keiner Weise qualifiziert sind.«
Der Mann mit den dünnlich schwarzen Haaren verbeugt sich leicht und ergreift nun selbst das Wort. Auch seine Stimme ist dünnlich. »Sie akzeptieren weiterhin eine Vertragsstrafe von 50 000 Mark für den Fall, dass Sie noch einmal bei einem deutschen Kreditinstitut wegen angeblich von Ihnen geplanter Publikationen vorstellig werden. Als Gegenleistung verzichten wir auf eine Strafanzeige.«
Grassl blickt die beiden Männer an. Der Mensch ist ein Wurm. Wenn man ihn tritt, krümmt er sich. Wie viel Tritte hält ein Mensch aus? »Sehr aufschlussreich«, bringt er heraus und muss sich räuspern, »wirklich sehr aufschlussreich, in welcher Weise Sie auf die bescheidene Bitte um Unterstützung einer wissenschaftlichen Arbeit reagieren . . . Aber wie Sie wünschen.«
Grassl nimmt seinen Kugelschreiber aus der Jackentasche. »Wo?« Eine Dokumentenmappe wird aufgeschlagen auf den Tisch mit der spiegelnden Glasscheibe gelegt, Grassl beugt sich darüber und unterzeichnet hastig. »Wünschen Sie ein Duplikat?« , fragt die dünne Stimme. Grassl schüttelt den Kopf und geht zur Tür. Bevor er sie erreicht, dreht er sich noch einmal um.
»Merken Sie sich dieses Datum«, sagt Grassl und sieht von dem Schnauzträger zu dem Dünnhaarigen. »Heute haben Sie Ihrem Haus einen großen Dienst erwiesen. Je schändlicher die Dinge sind,
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