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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ausgewechselt. Gib dir also keine Mühe. Hier kommst du nicht mehr rein. Den Schlüssel für den Peugeot wirfst du bitte in den Briefkasten. Der Wagen ist auf mich zugelassen .
    Wunderbar, denkt Höge. Jetzt sind sie nicht nur in der Schule übergeschnappt. Alle sind es. Und du? Du wachst auf. Die
Sonne scheint. Du fährst zur Schule wie an jedem Tag. Wie an jedem anderen Tag auch steht dir die Straßenbahn im Weg und der Neckar fließt nach Mannheim und die Touristen schleppen ihre Nikkons durch Heidelberg. Alles wie sonst auch.
    Nur eines ist anders. Zufällig sind mal eben alle verrückt geworden.
    Ein Wagen hält.
    Meschugge, überkandidelt, durch den Wind.
    »Hubert«, hört er eine Stimme. Miriam? Willkommen im Irrenhaus.
    »Du kannst da nicht sitzen bleiben.«
    Er blickt hoch. Es ist wirklich Miriam in ihrem komischen, kleinen, altersschwachen Fiat.
    »Muss ich aber. Ich kann nicht rein«, sagt er hilflos und deutet mit dem Daumen auf die Tür hinter sich. »Sie hat das Schloss auswechseln lassen.«
    »Komm mit mir.« Miriam steigt aus und öffnet den Kofferraum.
    Hubert Höge steht mühsam auf. Seine Knie fühlen sich wacklig an. Miriam geht zum Peugeot und öffnet die Tür zum Rücksitz und wuchtet den Karton mit der Geige und dem Metronom und dem anderen Krempel heraus.
    Höge sieht zu, wie die kleine schmächtige Miriam den viel zu großen Karton zu ihrem Fiat schleppt, und plötzlich muss er daran denken, wie er als Bub einmal eine kleine Ameise beobachtet hat, eine winzig kleine schwarze Ameise, die eine große, dicke, stachelige, hilflose Raupe über den Waldboden zerrte, beharrlich und unaufhaltsam . . .
     
    Eine meiner weniger guten Ideen, denkt Berndorf und betrachtet die Nasenlöcher des Polizeiinspektors Groignac vom Politischen Departement der Straßburger Polizeipräfektur. Die Nasenlöcher sind ausgefüllt mit dichten schwarzen Haaren und werden unten abgefangen von einem Schnauzbart, ebenfalls aus dichten schwarzen Haaren. Der Ausdruck des
Schnauzbartes und der Nasenlöcher scheint von einem habituellen Misstrauen geprägt, das sich gegen Groignacs Mitmenschen im Allgemeinen und jetzt gegen Berndorf im Besonderen richtet . . .
    Groignac kommt aus Zentralfrankreich und spricht kein Deutsch, was ihn – vermutet Berndorf – aus Sicht seiner Vorgesetzten vermutlich ganz besonders für den Dienst in Straßburg qualifiziert hat. Berndorf trägt daher in seinem kariösen Französisch vor, was sich weniger stockend auch nicht schlüssiger anhören würde – dass er nämlich pensionierter deutscher Kriminalbeamter sei und im Zuge von privaten Ermittlungen auf Angehörige der gewaltbereiten, rechtsextremen Szene gestoßen, die Kontakte nach Frankreich hätten . . .
    »Un fouinard, hein?« Warum er sich nicht mit den deutschen Behörden in Verbindung gesetzt habe?
    Weil er fürchte, dass es dann womöglich zu spät sei, antwortet Berndorf dunkel und versucht zum dritten Male, Groignacs Aufmerksamkeit auf den Zettel mit der Zahlenreihe zu lenken, die mit 388 beginnt und deshalb vielleicht eine Straßburger Telefonnummer ist.
    Er hätte es wirklich besser wissen müssen. Am Wochenende soll in Straßburg ein deutsch-französisches Regierungstreffen stattfinden, die Stimmung ist nervös, der Chef im Élysée kann nicht mit dem neuen Herrn, der in Berlin an die Macht gekommen ist, die Chemie stimmt nicht, und das schlägt offenbar durch bis auf die Sicherheitsbehörden, die die Straßburger Polizeipräfektur in irgendetwas verwandeln, was doch sehr an einen aufgestörten Wespenschwarm erinnert.
    Unvermittelt greift Groignac zum Telefonhörer, Berndorf versteht etwas, das nach ici il’y a un fanfaron, qui m’est neigé dans mon bureau klingt, der Inspecteur nimmt sich den Zettel und gibt die Zahlenreihe durch, ohne die drei ersten Ziffern, falls Berndorf richtig zugehört hat. Und dann wartet er, den Hörer am Ohr.
    Auch Berndorf wartet und betrachtet das Porträt des gegenwärtigen Herrn im Élysée, der verkniffen und mit lauerndem
Lächeln in das Büro seines Untergebenen Groignac blickt, über Holzstühle und Rollschränke und das bodenfleckige Linoleum hinweg zu Gloire und Farce de Force und sonst was. Den würde ich nicht gewählt haben wollen, denkt Berndorf, aber dann geraten die Nasenlöcher von gegenüber unvermutet in schnaubende Bewegung, der Hörer wird aufgelegt und Groignac schiebt den Zettel verächtlich über den Tisch.
    »Futile. Inoffensiv. Sans importance.«
    Eine Handbewegung

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