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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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einem Tabakladen gekauft hat.
    Noch immer ist er ein wenig aufgebracht, und zwar über sich selbst. Wenn man herausbringen will, wem ein Telefonanschluss gehört, dann ist es die einfachste Sache auf der Welt, dort anzurufen. Er hatte das nicht getan, weil er keine schlafenden Hunde hatten wecken wollen, welche auch immer, und war deshalb am Vorabend mit Marckolsheimer in dessen Institut gegangen. Nur – Berndorfs oder Habrechts Straßburger Telefonnummer war keinem der bekannten Autonomisten zuzuordnen und in keinem ihrer Netzwerke zu finden.
    Nach dem Frühstück hatte er – bereits fest entschlossen, seine lächerlichen Straßburger Amateur-Recherchen noch an diesem Vormittag abzubrechen – schließlich getan, was er gleich hätte tun können. Er hatte angerufen, eine Frauenstimme meldete sich, und Berndorf brauchte eine längere Schrecksekunde, bis er begriff, dass er mit einer Briefmarkenhandlung verbunden war.
    »Entschuldigung«, hatte er dann gesagt, »ja natürlich, ich wollte ja eine Briefmarkenhandlung, ich sammle Zweiten Weltkrieg und hier vor allem besetzte deutsche Gebiete, haben Sie das im Sortiment . . .?«

    Er hatte das so unbefangen deutsch gefragt, wie dies ein deutscher Briefmarkensammler mit besetzten deutschen Gebieten als Fachgebiet wohl wirklich tun würde, jedenfalls in Strasbourg. Zwar war in seinem Kopf kurz der Verdacht hochgeschossen, dass es solche Spezialgebiete der Philatelie vielleicht gar nicht gebe und sie nur eine Ausgeburt seiner Fantasie seien . . .
    »Ja, haben wir«, antwortete die Frauenstimme in einem Deutsch, das für Berndorfs Ohren sehr rechtsrheinisch klang, »natürlich vor allem Elsass, aber auch Kanalinseln und Generalgouvernement. . . Wenn Sie vorbeikommen wollen?«
    Berndorf hatte sich den Weg beschreiben lassen, die Philatélie Charles Roos lag in einem südwestlichen Vorort, und inzwischen hätte er sie längst aufsuchen können. Dass er es nicht getan hatte, hing mit einem schwarzen Porsche zusammen, der fünf Rostlauben und ein paar Meter vor ihm geparkt war, ein Porsche mit einer Freiburger Nummer, in Strasbourg hatte das nichts zu bedeuten, auch wenn dies hier ein eher kümmerlicher Vorort war und nichts zu bieten schien, was einen Porsche fahrenden Bundesdeutschen würde anlocken können, aber auch das musste nichts heißen . . .
    Den schwarzen Porsche mit dem Freiburger Kennzeichen hat Berndorf schon einmal gesehen. Bedeckt ist der Himmel heute, aber wenn er sich erinnert, wird es ihm eng im Hals, die Wieshülener Beerdigungssonne brennt auf den Kopf: Staub zu Staub, Asche zu Asche, übrigens habe ich Sie immer für eine Mesalliance Barbaras gehalten . . .
    So hat er beschlossen, erst einmal zu warten und Zeitung zu lesen. In den Nouvelles d’Alsace dreht sich alles um den am Wochenende bevorstehenden deutsch-französischen Regierungsgipfel, im Lokalteil ist abgedruckt, wo es in der Innenstadt zu Absperrungen kommen wird und wo die Regierungschefs sich – vielleicht – der Öffentlichkeit zeigen werden. Der französische Staatspräsident hat den deutschen Bundeskanzler zu einem Abstecher auf die Vogesenhöhen eingeladen, zu einem der Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, auf denen
sich damals französische Alpini und badische Landwehrmänner und bayerische Jäger zu Zehntausenden massakriert hatten, einer der im Stacheldraht verbluteten Alpini war der Großvater des Staatspräsidenten gewesen . . .
    Zu seiner Überraschung hat Berndorf in dem Tabakladen auch den Mannheimer Morgen bekommen, der nicht mit dem Regierungsgipfel aufmacht, sondern mit dem Antrag des Berliner Innenministers beim Bundesverfassungsgericht, die Nationale Aktion zu verbieten. Er blättert weiter, aber eine Notiz über eine nächtliche Schlägerei in Leimbach findet er nicht. Dabei waren immerhin zwei Männer krankenhausreif zugerichtet worden, mehrere der Beteiligten hatten das Weite gesucht, sonst war so etwas doch eine Notiz im Polizeibericht wert? Er überlegt schon, ob er vielleicht eine Mannheimer Stadtausgabe bekommen hat, die keine Nachrichten aus der Region bringt. Aber dann fällt ihm doch eine Geschichte aus Heidelberg ins Auge, Auf dem Flügel der Liebe lautet die kursiv gesetzte Überschrift, und weil sich in und vor der Philatélie Roos noch immer nichts getan hat, beginnt er zu lesen . . .
    . . . die in diesen Tagen in Heidelberg mit Abstand am häufigsten aufgerufene Internet-Seite ist die eines Musikerziehers an einem der städtischen Gymnasien. Auf der

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