Die schwarzen Raender der Glut
Wegbiegung steht ein Gedenkstein mit goldgeprägten Lorbeerkränzen und Rangbezeichnungen. Dem Gedenkstein gegenüber ist ein kleiner Parkplatz, auf dem Berndorf noch eine freie Bucht für den Peugeot findet.
Er steigt aus und geht an einem hässlichen niedrigen Steinbau vorbei und gelangt so zu einem Fußweg, der zu einem Hügel führt. Der Hügel gehört zu einer Bergkette, die sich in südöstlicher Richtung hinzieht. Der Hügel selbst ist nicht bewaldet und groß genug, dass hier – hätte man es mit einem Freizeitgelände zu tun – ein gutes Dutzend Familien picknicken könnten, ohne sich auf die Füße zu treten.
Der Fußweg führt an Gesträuch und Stacheldraht und Mauerwerk vorbei, das tief in den roten Stein des Hügels eingelassen ist. Gräben und Laufgänge winden sich über den Hügel, dazwischen scheinen Einlässe in dunkle Unterstände und Bunker hinabzuführen. Sie sind für den Besucher gesperrt. Abgesperrt ist auch der oberste Bereich der Kuppe. Berndorf versteht nicht, was er da sieht. Die Kuppe erinnert ihn an einen Ameisenhügel, dessen oberste Schicht abgedeckt worden ist, sodass die unterirdischen Wege und Kammern freigelegt
sind. An einer Stelle, an der der Fußweg das erlaubt, tritt er zurück und lässt eine französische Familie an sich vorbei. Er holt Durlewangers Monografie heraus und liest nach, warum der Hügelkette des Linge im Jahre 1915 die gefährliche Ehre zugefallen ist, eine geschichtliche Rolle zu spielen , wie das der Historiograf so anmutig formuliert.
Es ist eine Geschichte, die mit den hell schmetternden Clairons der französischen Kürassiere beginnt, die im August 1914 im Elsass einziehen. Sie setzt sich fort mit dem deutschen Gegenangriff, dem Klatschen der Gewehrkugeln, die in die Baumstämme der Vogesenwälder einschlagen, mit den Verwundeten, die mit letzter Kraft zu einem der quellklaren plätschernden Vogesenbäche kriechen, es ist eine Geschichte der Männer, die zwischen den Sterbenden und Toten knien und hastig einen Schluck Wasser schöpfen, um dann blind weiter durch Laub und Tann zu stolpern, mit aufgepflanztem Bajonett gegen die Maschinengewehrnester, die sich im satten Grün der Wälder und der Hügel voller Heidelbeeren eingenistet haben.
Einer dieser Hügel ist der Linge. Zu Beginn des Jahres 1915 ist er im Besitz der Deutschen, die damit das Tal der Fecht kontrollieren und zugleich die nördliche Flanke der französischen Stellungen am Hartmannsweilerkopf bedrohen. Vor allem aber schirmt der Höhenzug die Stadt Colmar gegen einen weiteren Vormarsch ab, und so schickt der örtliche französische Befehlshaber, ein General Dubail, seine Alpenjäger gegen diese winzige, alsbald auf Schritt und Tritt von Festungsgräben und Bunkern durchzogene Hügelkuppe und lässt angreifen, eins um das andere Mal, allein am 24. Februar 1915 haben die Alpini fast 1600 Tote. Am 20. Juli werden fünf Alpini-Bataillone der 129. Division ins Feuer gejagt und verlieren bereits bei der ersten Angriffswelle ein Drittel der Mannschaft, am 22. Juli folgt der nächste Angriff, wieder bricht er im Maschinengewehrfeuer zusammen, am 26. Juli wird ein Teil des Bunkersystems gestürmt, das genügt nicht, die 129.
Division muss weiter angreifen, am 29. Juli, am 1. August, bayerische und mecklenburgische Jäger halten trotzdem den Gipfelbunker, am 3. August holen sich die Deutschen den Lingekopf zurück, es ist Hochsommer, 2000 Leichen , welche man erfolglos mit Phenol übergoss, verwesen unter Mückenschwärmen . . .
Die 129. Division ist am Ende, ausgeblutet, die jungen Soldaten verzweifelt, am 20. August sollen sie abgelöst werden, aber General Dubail besteht darauf, dass die Division einer letzten Anstrengung unterzogen werde , die 20-jährigen Soldaten stürmen am 18. August einen Teil des deutschen Grabensystems, das ist nicht genug, in seinem Hauptquartier wird General Joffre ärgerlich beim Empfang der Berichte über diese harmlosen Erfolge , den Zwanzigjährigen der 129. Division wird eine weitere letzte Anstrengung auferlegt, aber der Aufmarsch bricht im deutschen Geschützfeuer zusammen, am 31. August rollt ein deutscher Gegenangriff an, Giftgas bereitet ihn vor, nach 13 Uhr werden die Explosionen dumpfer, es verbreitet sich ein Geruch von Knoblauch und Äther, der bald zu einer zerfetzten, am Boden hinkriechenden Wolke wird . . .
Eine französische Stimme spricht Berndorf an. Er blickt hoch. Vor ihm steht ein Soldat in blauer Uniform und mit weißen Handschuhen.
Weitere Kostenlose Bücher