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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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damit anfangen«, sagt er entschlossen. »Du nicht und dein infantiler Schläger auch nicht. Überlegt euch mal, warum ihr das nicht könnt ... Habt ihr denn keinen, der ein bisschen schlauer ist?«
    »Oh«, sagt Kai, »der kleine Scheißer wird frech.«
    Dülle tritt an Grassl heran und lächelt dieses sonnige Kinderlächeln und legt ihm das Telefonbuch an den Kopf, diesmal an die linke Seite, und holt mit der Faust aus und schlägt sie krachend auf das Telefonbuch, und vor Grassls Augen splittert ein Funkenregen auf, der seinen Kopf ausfüllt und sein Gehirn zerreißt ... Dann kippt er nach vorne, in das Abschleppseil, das ihm um Brust und Oberarme gespannt ist.
     
    Der grüne Glasschirm der Lampe wirft einen hellen Lichtkreis auf die fleckige Schreibtischmappe. Durch das hohe Fenster an der Seite dringt ein letztes Glimmen der Dämmerung herein. Von dem Mann hinter dem Schreibtisch sind nicht viel mehr als die Umrisse zu erkennen. Es ist schon eine ganze Weile, dass er nichts gesagt hat.
    »Ich fasse noch einmal zusammen«, unterbricht Commissaire Mueller sein Schweigen. Plötzlich spricht er Deutsch. »Sie sind deutscher Polizist, das heißt, Sie waren es. Seit wenigen Tagen erst sind Sie pensioniert, die Tinte auf Ihrer Entlassungsurkunde
ist noch nicht trocken, und schon tauchen Sie hier auf, geben uns Hinweise auf ein Attentat, das möglicherweise geplant ist – welche Motive haben Sie, wer ist Ihr Auftraggeber, warum haben Sie nicht die deutsche Polizei kontaktiert, warum erst jetzt uns?«
    Der Mann vor dem Schreibtisch massiert den Oberschenkel seines linken Beines. »Keine Auftraggeber. Privates Motiv. Deutsche Sicherheitsbehörden nicht zuständig. Die französischen Sicherheitsbehörden sind gestern kontaktiert worden, sofern Inspecteur Groignac und seine Nasenlöcher dazu gehören. Monsieur Groignacs Nasenlöcher halten mich für einen Fanfaron, und die Philatélie Charles Roos für harmlos. Vielleicht haben die Nasenlöcher Recht, vielleicht sind auch die beiden Männer da oben in dem alten Beobachtungsstand harmlos . . . Ich weiß es wirklich nicht. Mein linkes Bein schmerzt, ich sollte mir ein Hotel suchen, also habe ich auch nichts dagegen, wenn Sie mich wegschicken. Nur sollten Sie sich morgen dann über nichts wundern . . .«
    Müde, zerschlagen, mit aufgerissener Wange hatte Berndorf vor Stunden zu dem Wanderparkplatz zurückgefunden. Wenig später war er auf der Rückfahrt nach Trois Épis von einer Polizeikontrolle angehalten worden, offenbar waren inzwischen auch die Zufahrten zu dem Waldgebiet um den Lingekopf abgesperrt, spät kömmt ihr, spät! Er hatte nach dem Einsatzleiter verlangt, war an einen gelbsüchtigen Pariser geraten und schließlich in einem Polizeiwagen zur Präfektur nach Colmar gebracht worden. Berndorfs geliehener Peugeot würde schon nicht gestohlen werden, hatte ihm der Pariser hinterhergerufen.
    Mueller hebt die Hand. »Gedulden Sie sich.« Er nimmt den Telefonhörer und führt eine Reihe von Gesprächen. Mueller ist ein knapp mittelgroßer Mann mit müden braunen Augen und hat die in Berndorfs Ohren so angenehme Stimme eines nachdenklichen kultivierten Franzosen. Aber irgendwann hebt sich die Stimme und geht in ein Accelerando über, dem Berndorf nicht mehr folgen kann. Schließlich lässt Mueller
den Hörer sinken. »Ich habe gerade mit Ihrem Freund in Strasbourg gesprochen«, sagt er erklärend. »Das Gespräch hat ihm wenig Freude bereitet.« Dann wählt er schon die nächste Nummer.
     
    Nacht senkt sich übers Land, und noch immer treiben die Wolkenfelder in zügiger Fahrt nach Osten, hinweg über die Vogesenkämme und die Höhen des Schwarzwalds, über Island braut sich ein neues Tief zusammen, die Nachrichtensender auf den britischen Inseln und in der Normandie geben Sturmwarnung aus, die Wolkenfelder fegen über die dunkle Barriere der Alb, ab und zu reißt die rasche Folge auf und lässt den Widerschein eines erschreckten halben Mondes auf Fluren und Wälder fallen.
    Auf einer schmalen Koje liegt Florian Grassl und versucht, seine Wahrnehmung von dem dumpfen Schmerz zu lösen, der ihm durchs Gehirn dröhnt und in den Halswirbeln sticht. Sein Mund ist klebrig, dunkel erinnert er sich an den Abend, irgendjemand hat ihm ein Glas Wasser mit einer Medizin eingeflößt, aber das war nicht alles, er weiß nicht mehr, was vorher war, er versucht die Augen zu öffnen, er sieht vor sich das enge Lattengitter eines Verschlags, und hoch über sich ein kleines schmales

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