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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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werden die Türen geschlossen, fährt der Wagen auch schon an. Es ist ein dunkelblauer BMW, Grassl hat auf das Kennzeichen nicht weiter geachtet, dass es ein Stuttgarter Kennzeichen ist, weiß er auch so.
    »Wo ist dein Hotel?«
     
    Berndorf hat seinen Peugeot in einer Tiefgarage abgestellt und findet sich nun am Tageslicht zu Füßen des Generals Jean Rapp wieder, einst Gouverneur in Danzig und bekannt als Autor von Erinnerungen, die er nicht geschrieben hat. Rapp ist aus Stein und fast ein deutsch-französischer Held, denn er hat zu Ende der napoleonischen Zeit Danzig gegen die Russen verteidigt, das heißt – so überlegt Berndorf –, getan haben das seine Soldaten. Mit den Heldentaten des Generals verhält es sich ebenso wie mit seinen angeblichen Memoiren: sie werden ihm nur zugeschrieben. Nichts ist, was es scheint.
    Berndorf ist in Colmar, nach einer Fahrt, die ihn von den schmutzig grauen Vororten Straßburgs durch die Äcker und Felder des Elsass geführt hat, vorbei am Blaugrün der aus dem Tal ansteigenden Weinberge. Nur hat Berndorf keinen Blick dafür gehabt, weil er sich in nicht allzu naher Sichtweite des Renault-Lieferwagens halten musste, zuweilen aufschließend, dann wieder in einigem Abstand.
    Bis Colmar konnte er dem Renault folgen. Aber dann, kurz nachdem sie von der Nationale 83 ins Stadtgebiet kamen, hat er ihn doch aus den Augen verloren.
    Er fragt sich zu einer Librairie durch und findet dort nicht nur eine Straßenkarte, sondern auch eine Wanderkarte im Maßstab 1:25 000. Noch einmal vergewissert er sich in den
Nouvelles d’Alsace , was im Programm des Regierungsgipfels vorgesehen ist und was er am Morgen nur überflogen hat: dass nämlich der Staatspräsident den deutschen Regierungschef – accompagné par M. Ruff  – persönlich über das Schlachtfeld auf dem Lingekopf führen wolle . . .
    Accompagné par M. Ruff. Ein läppischer Nebensatz. Hat nichts weiter zu bedeuten. Natürlich haben die Chefs ihre Entourage dabei. Warum hat er das beim ersten Mal überlesen? Er schüttelt sich. Was er denkt, kann nicht sein.
    Er steckt die Zeitung in die Tasche seines Leinenjacketts und faltet die Straßenkarte auf. Nach einigem Suchen findet er den Namen schließlich wieder, das Linge-Memorial liegt zwischen den Tälern der Weiß und der Fecht, oberhalb von Munster, und das wiederum ist knapp 20 Kilometer westlich von Colmar . . . Eine Buchhändlerin wird auf ihn aufmerksam, wie er mit aufgefalteter Karte noch immer im Verkaufsraum herumsteht, er fragt, ob es Literatur über die Gefechte am Linge gibt, und sie sucht ihm eine kleine offiziöse Broschüre heraus, verfasst von einem A. Durlewanger.
    Wenig später sitzt Berndorf wieder in dem Peugeot, auf der Fahrt in die Vogesen, deren Kuppen unter dem raschen Zug der Wolken zartblau über dem Tal aufragen.
     
    »Ganz schrecklich, diese Sache mit meinem Freund«, sagt Kai Habrecht zu der Frau an der schäbigen engen Rezeption, »plötzlich fällt er um und windet sich auf dem Boden und hat Krämpfe und läuft ganz blau an . . . Wir haben ihn dann ins Klinikum nach Sachsenhausen gebracht, mit so einer Subtraktion des Abdomen ist nicht zu spaßen, glauben Sie mir.«
    Die Frau glaubt es ihm, denn Habrecht bezahlt anstandslos die Rechnung für den Herrn Dr. Grassl, und so gibt sie ihm auch bereitwillig den Schlüssel, damit er und sein anderer Freund das Gepäck ins Klinikum bringen können.
    Die beiden Männer gehen nach oben, weil sie zu zweit und wegen der Stützschiene Habrechts nicht in den altersschwachen Aufzug passen. Grassls Zimmer ist noch ein wenig kleiner
und muffiger, als sie es sich nach dem Zustand der Rezeption vorgestellt haben. Im Schrank hängt eine etwas fadenscheinige Kombination, außerdem finden sie Wäsche, die nicht mehr sehr sauber aussieht.
    »Auch die verschissenen Unterhosen?«, fragt Habrechts Begleiter, der in seiner Szene »Dülle« genannt wird.
    »Pack’s rein«, antwortet Habrecht, der gerade dabei ist, den Stapel altersmuffiger und stockfleckiger Scharteken durchzusehen, der sich auf dem Tisch in Grassls Zimmer findet. »Pack alles ein. Der Prof will es so.«
    Berndorf hat die Straße Richtung Orbey genommen, an Turcheim vorbei, eine Bratwurst oder zwei wären auch nicht schlecht, aber dazu ist jetzt nicht die Zeit. Er biegt zum Col de Wettstein ab, die Straße gewinnt an Höhe, er fährt durch Mischwälder und an Viehweiden vorbei, weiter oben lädt eine allein stehende Ferme zum menu touristique. An einer

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