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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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die Hohe Witwe und wendet sich wehenden Umhangs ins Haus. Kai bleibt einen Augenblick
stehen. Dann folgt er ihr, und auch Grassl und Shortie treten in die Eingangshalle, in der der Blick jetzt auf ein großes, schwarz gerahmtes Foto des verblichenen Gerolf Zundt fällt, das ihn mit staatstragendem Faltenwurf des Gesichtes zeigt, zwei Finger denkerisch an die Wange gelegt.
    Sie gehen die Treppe in den ersten Stock hoch und weiter in die Bibliothek. Hinter ihnen folgt Dülle, er ist schmaler als Shortie und trägt die Haare länger. Dülle redet wenig. Er lächelt nur, manchmal.
    Noch immer hält ihn Shortie am Arm. Kai greift sich einen der Lehnstühle, die vor den Bücherwänden bereitgestellt sind, und zieht ihn in die Mitte des Bibliotheksraumes. Es ist ein schwerer, unbequemer Lehnstuhl aus massivem Eichenholz, mit gerader Lehne und geraden harten Armstützen.
    »Willst dich nicht setzen?«, fragt Kai.
    Shortie stößt Grassl in den Lehnstuhl. Erst jetzt sieht Grassl, dass Dülle eine Leine in der Hand hält. Er kommt auf ihn zu und lächelt sein freundliches offenes Lächeln. Es ist keine Leine, die er in der Hand hat, denkt Grassl, es ist das Abschleppseil. Deswegen ist er zurückgeblieben. Er musste es erst aus dem Kofferraum holen.
     
    Der Häher hat sich für eine Weile beruhigt. Stetig und in unaufhaltsamer Fahrt nach Osten ziehen dunkle Wolken über den Himmel. Unter Berndorf schimmert das Tal der Fecht. Im Westen kann er grüne Hänge und bewaldete Hügelkuppen erkennen, wer dorthin Sicht haben will, hat sie hier. Über ihm hängt graues, moosbewachsenes Gestein, mit schießschartigem Mauerwerk verbunden, über das sich Efeu zieht. Halblaut bröckeln Bruchstücke eines Gesprächs nach unten. Er versucht, sich ein Stück nach oben zu schieben, näher an das Mauerwerk heran. Ehe er es abwehren kann, fährt ihm eine Brombeerranke ins Gesicht.
    Eine der Stimmen klingt rau, fast guttural. Plötzlich setzen sich Silben zusammen.
    »C’est du cochon. Ça je ne mange pas.«

    Eine zweite Stimme antwortet. »Was is’n jetzt schon wieder? Is gut, glaub mir. Feines Happi-Happi.«
    »Moi suis un musulman.«
    Zwei Männer biwakieren in dem alten Beobachtungsposten, denkt Berndorf, zwei Männer auf der Wanderschaft, was ist dabei? Irgendwo unten auf der anderen Seite des Kamms wird der Renault-Transporter stehen, vermutlich am Ende eines Holzwegs unter den Bäumen versteckt, nicht zu weit von dem Beobachtungsstand entfernt, so viel Zeit bleibt den zwei Männern morgen dann nicht mehr . . . jedenfalls dann nicht, wenn sie ihren Job getan haben.
    Welchen Job?
    Zischend wird oben eine Dose geöffnet, Bier oder Cola. Der Häher erschrickt und kreischt einen neuerlichen Wutausbruch durch den Nachmittag. Berndorf nutzt den Lärm und hangelt sich an jungem Laubgehölz nach unten. Die Schramme in seinem Gesicht brennt.
     
    »Helvetischer Trust«, sagt Grassl, den Kopf gesenkt, um die Augen vor dem grellen Licht der Lampe zu schützen, die auf ihn gerichtet ist, »ich sagte es Ihnen doch, Zweigstelle Romanshorn, das Kennwort ist Reunion.«
    »Du lügst schon wieder«, sagt Kai, der irgendwo hinter der Lampe steht. »Wir haben genug davon. Genug von deinen lausigen Tricks. Du hast das Material nicht in den Safe gebracht. Das wissen wir doch. Wir waren dabei, weißt du das nicht mehr?«
    Ja, denkt Grassl, er hält die Augen geschlossen und sieht vor sich das weiße Deck der Fähre, auf dem er nach Friedrichshafen zurückgeschickt wird, der See ist blau, zart sieht man im Süden die Berge, und irgendwo tölpeln Kai und Shortie und sind die Hereingelegten . . . Ein paar Tage ist das erst her.
    »Wo also hast du das Material? Muss Dülle noch einmal telefonieren?«
    Aus dem Hintergrund kommt Dülle und lächelt wieder und hat wieder das Telefonbuch in der Hand.

    »Sie haben doch alles«, bringt Grassl heraus und windet sich in dem Abschleppseil, mit dem man ihn in dem Lehnstuhl festgebunden hat, »Sie haben es doch bei meinem Gepäck im Hotel gefunden . . .«
    »Verscheißer uns nicht. Wir sind nicht deine Unterhosen. Das Zeug in deinem Gepäck ist Altpapier. Kein Mensch kann damit etwas anfangen . . .«
    Wie oft darf man einen Menschen treten? Alles hat seine Grenze, denkt Grassl. Sie werden mich wieder schlagen. Sollen sie. Diesmal werde ich das Bewusstsein verlieren. Ich werde den Atem anhalten, wenn der Schlag kommt, und dann werde ich bewusstlos sein. Gar nichts mehr nützt es ihnen dann . . .
    »Du kannst vielleicht nichts

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