Die schwarzen Raender der Glut
mit diesem Zettel, Kai?«, fragt Schatte mit leiser Stimme.
»Ich hab doch keinen Zettel gehabt«, sagt Habrecht hastig, »ich hab die Nummer auswendig gelernt und den Zettel verbrannt. . . der Kerl lügt doch, pausenlos tut er das.«
Schweigen macht sich breit. Dann schlägt die Hausklingel an und scheppert laut und lärmend durch die Eingangshalle zu ihnen hoch.
»Geh nachgucken und pass auf, dass Shortie keinen Scheiß macht«, sagt Schatte. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegt eine kleine, schwarz schimmernde Pistole. Berndorf hat nicht gesehen, wann Schatte sie herausgezogen hat. Sie ist einfach da.
Dülle lehnt das Schnellfeuergewehr an das Bücherregal und verlässt den Arbeitsraum. Schatte lehnt sich zurück. Berndorf betrachtet den schmalen hohen Steinkopf mit den mongolischen Gesichtszügen.
Schweigend warten die drei Männer.
Dülle kommt zurück. »Da ist ein alter Mann mit einem Hund und will die verrückte Alte besuchen. Shortie weiß nicht, was er tun soll.«.
»Das wird der Ortsvorsteher sein«, sagt Schatte. »Keine Umstände. Und bitte höflich. Aber geh dann mal über das Gelände. Allmählich bekommen wir zu viel Besucher hier.«
Dülle greift nach seinem Gewehr. »Lass es hier. Ich will nicht, dass dieser Ortsvorsteher dich damit sieht.«
Dülle zuckt mit den Achseln und geht wieder.
»Genug Zeit verloren«, sagt Schatte. »Ihre Plaudereien, Berndorf, hören sich ganz nett an, aber es ist nichts dahinter. Das war bei Ihnen wohl schon immer so. Von allem etwas, und nichts richtig. Alles nur lau und halbherzig. Ein bisschen Bulle, ein bisschen links. Ein bisschen Leute totschießen, ein bisschen schlechtes Gewissen. Aber irgendwann wollten Sie ganz groß rauskommen, wie einer der Liedermacher damals gesungen hat. Haben Sie nie darüber nachgedacht, warum sich Barbara Stein ihr Kind von einem anderen hat machen lassen . . .?«
Berndorf betrachtet Schatte aufmerksam. Thomas Stein, 1975 geboren, ist der Sohn eines Hamburger Kunsthistorikers, mit dem Barbara zwei oder drei Jahre zusammengelebt hat, damals, als es zwischen ihr und Berndorf nicht mehr weiterging. »Nun ist mir das Fortpflanzungsverhalten der Kollegin Stein ebenso gleichgültig, wie Sie es mir sind«, fährt Schatte fort. »Aber Sie kommen ein wenig ungeschickt, auch das haben Sie so an sich. Und wieder einmal begreifen Sie nicht, worum es geht. Die Welt steht vor einem Umbruch, der so gewaltig ist, dass alles, was davor war, ein Maienlüftchen gewesen sein wird. Man hat mich ausgelacht, als ich über den bevorstehenden Weltbürgerkrieg der Kulturen geschrieben habe. Den Leuten wird das Lachen noch vergehen, glauben Sie mir! Sturm kommt auf, haben Sie das denn nicht bemerkt? In solchen Zeiten soll keiner auf die Brücke, der keinen Stand hat. Der nicht den Mut hat, die Tat zu wagen, kalten Blutes und mit unerschrockenem Auge. Alles Große steht im Sturm, Berndorf – aber was haben Sie dabei zu suchen?«
»Die Sturmwarnung habe ich heute auch schon gehört«, sagt Berndorf. »Im Autoradio. Diese Meteorologen sollen inzwischen ja recht zuverlässig sein. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie erst im Knast sind, werden Sie es auch wieder stiller haben.«
Schattes Stimme wird kalt: »Spielen Sie nicht den Narren. Das hilft Ihnen nichts mehr. Sie wissen immer noch nicht, was hier abläuft. Kein Einsatzkommando wird kommen. Niemand wird kommen. Wir sind nicht in Frankreich. Wir sind in Deutschland, im Land Baden-Württemberg, selbstverständlich wird der Innenminister in Stuttgart alles unternehmen, um den französischen Behörden behilflich zu sein, falls wir von dieser komischen kleinen Explosion in den Vogesen reden, von der in den Nachrichten zu hören war, und ebenso selbstverständlich wird sich bei all dem unverzüglich herausstellen, dass kein Bediensteter des Landes mit dieser Sache etwas zu tun hat. Haben Sie noch immer nicht kapiert, Berndorf, wer Ihnen gegenübersitzt?«
»Wir kennen uns ja nun von Kindheit an«, sagt Jonas Seifert noch einmal. Er steht an der Tür des Salons und hat sich eigentlich schon wieder verabschiedet. Felix wartet geduldig neben ihm. »Ich meine, das ist ja ein großes Anwesen, und wenn du Hilfe aus dem Dorf brauchst, musst du es mir nur sagen.«
»Das ist sehr lieb von dir, Jonas«, antwortet Margarethe Zundt würdig, »aber wir sind hier draußen immer ganz gut zurechtgekommen, auch ohne die Hilfe der Leute aus dem Dorf, wie du wohl weißt. Du willst wirklich keinen
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