Die schwarzen Raender der Glut
Übrigens gilt das auch für die andere Geschichte. Und die ist nun wirklich kalter Kaffee.«
»So kalt noch nicht. Das war vorgestern, dass der Kollege die Leiter hoch ist.«
»Und wenn.« Sielaff lehnt sich zurück. »Du bist der Letzte, der sich darum kümmern sollte. Es ist nicht professionell.«
»Ich bin nicht mehr bei der Firma.«
»Ermittlung bleibt Ermittlung.« Sielaff nimmt noch einen Schluck. »Weißt du, wonach mir jetzt wäre? Nach Weißwürsten und einem ausgiebigen runden schönen Kneipenvormittag. Ohne Konferenz. Ohne Papierkram. Einfach ins Wochenende hinüberdämmern. Aber die Weißwürste hier kannst du vergessen.« Seufzend greift er in seine Jackentasche und holt ein Bündel zusammengefalteter DIN-A4-Blätter heraus. »Und den Papierkram wirst du ums Verrecken nicht los. Das da zum Beispiel«, er faltet die Blätter auf und sieht sie durch, »geht
mich einen feuchten Kehricht an. Irgendein Idiot hat das kopiert und liegen lassen.« Er schiebt die Blätter über den Tisch. »Bist du das gewesen?«
»Kann schon sein«, antwortet Berndorf, faltet die Blätter wieder zusammen und steckt sie in seine Jackentasche.
»Das Weizen zahlst du«, sagt Sielaff.
Die Rampe zur Fähre führt vom Kai steil nach oben. Holpernd fährt der Audi über die Planken auf das Schiff, der Schaffner weist Grassl auf die rechte Spur des Fahrzeugdecks ein. Nur noch wenige Plätze sind frei.
Grassl stellt den Motor ab, zieht die Handbremse an und legt den ersten Gang ein. Dann wirft er einen Blick in den Rückspiegel. Die Fähre müsste in wenigen Minuten ablegen. Der dunkle BMW mit dem Stuttgarter Kennzeichen ist nirgends zu sehen. Er steigt aus und geht die Treppe zum Passagierdeck hinauf. Blaugrün schimmert der Bodensee in der Sonne, die Schweizer Vorberge liegen im Dunst, hoch über ihnen zeichnet sich zartblau der Säntis gegen den Himmel ab.
Grassl wendet sich der Stadt zu. Vor der weißen Terrasse des Friedrichshafener Hafenbahnhofs betrachten Touristen die Plakate der Zeppelin-Jubiläumsausstellung, an der Anlegestelle rauchen zwei Hafenarbeiter ihre Zigaretten, der Schaffner wartet auf das Ablegen, ein Wagen schießt auf die Rampe zu, der Schaffner hebt beruhigend die Hand und winkt den Fahrer zur Auffahrt, der Wagen ist ein blauer BMW, und als er die Planken hochfährt, kann Grassl von oben sehen, dass zwei Männer darin sitzen.
Auf den Neckarwiesen sonnen sich junge Leute, einige hoch gewachsene Burschen üben mit einem Rugby-Ball, andere Jünglinge mit Haargel-Frisuren und den roten Schönfelder-Gesetzestexten im Beipack versuchen, Studentinnen anzubaggern, die Studentinnen sind – so scheint es Berndorf – in der Mehrzahl ein wenig üppig geraten, forget it! In dieser Altersklasse ist deine Meinung schon lange nicht mehr gefragt.
Er geht weiter, und am Uferrand findet er schließlich einen Platz, wo er seine Jacke ausziehen und sich ins Gras setzen kann. Aus der Jackentasche holt er die zusammengefalteten Blätter, die ihm Sielaff zugeschoben hat. Es sind Kopien, auf den ersten Blick erkennt er die wenig ausgeprägte, aber gut lesbare Handschrift des dahingeschiedenen Polizeihauptmeisters außer Diensten, Wilhelm Troppau. Dazwischen findet er Ablichtungen amtlicher Bescheide und von Zeitungsartikeln, einer davon kündigt das Herbstkonzert des Posaunenchors Heidelberg-Kirchheim an, Berndorf schüttelt den Kopf und liest als Nächstes eine knappe handschriftliche Absage: Aus der Justizvollzugsanstalt Aichach teilt eine Sabine Eckholtz mit, dass sie nicht bereit sei, mit Troppau zu sprechen.
Berndorf sieht sich um. Er ist allein. Einige Meter entfernt liegt eine blasse Brünette, die sich die Bluse ausgezogen hat und sich erkennbar eine andere Nachbarschaft gewünscht hätte als die seine. Er faltet die Kopien zusammen – bis auf zwei Blätter – und verstaut sie wieder in seiner Jacke. Bei den beiden Blättern handelt es sich um die Ablichtung eines Schreibens, das Troppau im Dezember 1998 an den Leitenden Oberstaatsanwalt in Mannheim gerichtet hat.
Wilhelm Troppau, Polizeihauptmeister i. R.
Sandhausen, Philipp-Schmidt-Straße 27b
An den Herrn Leitenden Oberstaatsanwalt
der Staatsanwaltschaft Mannheim
Sehr geehrter Herr, hiermit erstatte ich Selbstanzeige wegen Mordes, begangen am 24. Juni 1972 zum Nachteil des irischen Staatsbürgers Brian O’Rourke, geb. am 13. Oktober 1939 in Dublin .
Der Sachverhalt: Ab Januar 1971 gehörte ich als Polizeihauptmeister dem Revier Mannheim
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