Die schwarzen Raender der Glut
auch zwanzig, Grassl hat keine Ahnung. Zahlen lässt Zundt nicht heraus. Alles geheime Chefsache. Und die Ausgaben?
Die Druckkosten der Festgaben für Heimat und Volkstum , ein schmales Heft, einmal im Jahr. Die Honorare und Spesen der Referenten für Frühjahrs- und Herbsttagung. Dann die Bewirtungskosten für die VIPs, die Sponsoren, meistens stiernackige Kleinfabrikanten aus dem Unterland. Peanuts, alles in allem.
Und sonst? Wieder hat Grassl von nichts eine Ahnung. Er lächelt, denn ihm kommt ein Gedanke. Was wäre, wenn es wirklich ein Nichts ist, von dem er eine Ahnung hat?
Für einen kurzen Abschnitt wird die Straße gerade und überschaubar. Der Wohnwagen klebt hinter einem Silozug. Grassl schaltet in den vierten Gang herunter und drückt das Gaspedal durch. Der Audi schießt an Wohnwagen und Lastzug vorbei. Ein zweiter, dunkler Wagen folgt ihm. Aus einer Einmündung kommt ein Lieferwagen entgegen. Grassl schert ein. Hinter ihm quetscht sich der dunkle Wagen in die kleine Lücke vor dem Silozug. Die Lichthupe des Lieferwagens flammt auf. Das war knapp, denkt Grassl. Erst dann nimmt er den anderen Wagen wahr. Es ist ein dunkler BMW, und zwei Männer sitzen darin.
Ein Kälteschauer kriecht über seine Unterarme.
Ein zweites Mal braucht er nicht in den Rückspiegel zu sehen. Der dunkle BMW war in Stuttgart zugelassen. So sicher, wie er gelbe Lederpolster hat und einen Rennlenker.
Faltenhauser scheint in ein Vernehmungsprotokoll vertieft. Als Berndorf eintritt, blickt er scheu und flachsfarben hoch.
»Ich sehe, ich komme ungelegen«, sagt Berndorf und wünscht einen guten Morgen.
Faltenhauser steht auf und reicht ihm über den Schreibtisch hinweg eine weiche knochenlose Hand.
»Nein, selbstverständlich sind Sie willkommen«, sagt er. »Es ist nur – Sie hätten nicht zu kommen brauchen. Leider wusste ich das gestern noch nicht . . .«
»Sicher brauchen Sie mich nicht. Ich wollte auch nur einen Blick auf Troppaus Korrespondenz werfen, vielleicht kann ich dann seinen Abschiedsbrief besser verstehen.«
Faltenhauser blickt gequält. »Es ist eine Anweisung aus Stuttgart gekommen, sie haben den Fall an sich gezogen . . .«
»Also doch ein Fremdverschulden?«
»Nein«, antwortet Faltenhauser unglücklich. »Das nicht . . .«
»Dann gibt es auch keinen Fall, den Stuttgart an sich ziehen könnte.«
»Trotzdem kann ich Ihnen keinen Einblick in die Unterlagen geben. Ich hab da klare Weisung bekommen.«
Berndorf betrachtet ihn. Weisung, ja. Und wenn sie dich anweisen, Windeln zu tragen?
»Dann bedanke ich mich für die Mühe, die Sie sich gemacht haben, um mich herzuholen.«
Er nickt kurz, dreht sich um und verlässt das enge, mit Aktenschränken voll gestellte Büro. Auf dem Korridor geht er zwei Türen weiter und tritt ohne anzuklopfen ein. Dieses zweite Büro ist ein wenig heller und geräumiger als das erste. An einem ausladenden Schreibtisch sitzt ein Mann mit einem bleichen runden aufgeschwemmten Gesicht, der Berndorf empört aus blassblauen Augen anstarrt.
»Warum gibt mir dein Schleimschleicher keine Akteneinsicht?«
»So nicht«, sagt der Mann hinter dem Schreibtisch. »Du richtest hier kein Unheil an.« Dann wuchtet er sich aus seinem Sessel hoch. In aufgerichtetem Zustand ist der Hauptkommissar und Dezernatsleiter Sielaff einen guten Kopf größer als Berndorf. Anklagend weist er mit seinem dicken Zeigefinger auf den Eindringling. »In deinen Kleinkrieg mit Stuttgart lassen wir uns nicht hineinziehen. Außerdem bist du außen vor. Ausgemustert und abgetakelt, und wenn du mich fragst, war es dafür auch höchste Zeit.«
»Ich hab keinen Krieg mit Stuttgart, du Pfannkuchen«, antwortet Berndorf milde. »Es war dein Schlappohrmaki, der mich angerufen hat. Ihr habt mich hergeholt, also gebt ihr mir auch Akteneinsicht. Das geht Stuttgart überhaupt nichts an.«
Sielaff schüttelt den mächtigen Kopf. »Es war ein Fehler,
dich überhaupt zu verständigen. Wir haben deswegen einen schweren Rüffel von Rentz eingefangen. Das reicht.« Ministerialdirektor Rentz ist Leiter der Polizeiabteilung im baden-württembergischen Innenministerium. »Und willst du wissen, was ich denke? Rentz hat Recht. Du bist selbst betroffen. Du bist es, der damals den Einsatz geleitet hat.«
Berndorf sieht ihn an. »Ja. Sicher hab ich das. Und noch was. Ich bin noch immer derselbe.« Er lächelt. »Aber du bist es nicht. Nicht derselbe. Heute machst du Männchen, wenn Stuttgart pfeift.« Abrupt hört er auf zu
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