Die schwarzen Raender der Glut
mir. Zuletzt hat er hier in der Nähe gelebt, in Sandhausen. Ihre Gemeinde, nicht?«
Der Prediger deutet ein Lächeln an. »Sandhausen, ganz recht. Unsere Kirche zieht keine engen Sprengelgrenzen.« Er hat Sandhause gesagt, registriert Berndorf, wie denn überhaupt das Hochdeutsch des Predigers auf eine kaum merkliche Weise regional eingeschliffen klingt. Das Lächeln verschwindet. »Bruder Wilhelm, ja. In letzter Zeit ...« Er lässt den Satz unvollendet. »Ganz sicher ist Gott seiner Seele gnädig. Wie ist es ...?«
Wenn Berndorf genau hingehört hat, klingt das gnädig doch sehr nach gnedisch. Ein Pfälzer? Eher ein Mannemer.
»Er hat sich aufgehängt.«
Der Prediger nickt. So, als ob ihn nichts überraschen könne. »Das ist eine schwere Sünde.« Ein flinker Blick streift Berndorf. »Nur Gott kann die Schuld von den Menschen nehmen. Nicht der Mensch selbst.«
»Schuld, sagen Sie. Haben Sie mit ihm über solche Fragen gesprochen?«
»Ja«, antwortet der Prediger widerstrebend. »Sicher. Ich habe versucht, ihm deutlich zu machen, dass den Menschen darüber kein letztes Wort zusteht.« Er hebt ganz leicht die Stimme an. Das Mannemerische verschwindet. »Was gewesen ist, soll euch nicht belasten / was kommt, darf euch nicht schrecken. Wenn die Menschen nicht glauben, dass ihre Sünden vergeben werden können, dann glauben sie nicht an Christus.«
»Und was tut ein Seelsorger, wenn das, was gewesen ist, sich nicht daran hält?«
Bruder Hesekiel schüttelt unwillig den Kopf. »Manchmal hilft nur das Gebet. Aber das Gebet ist eine Sache zwischen dem Glaubenden und Gott. Allein zwischen ihnen.«
»Manchmal, so heißt es, sollen Gespräche helfen. Gespräche zwischen Menschen.«
»Jeder Mensch lädt Schuld auf sich. Wir wollen sie nicht wissen. Es genügt, dass Gott es weiß.« Wieder blickt er kurz zu Berndorf auf. »Ich nehme an, Sie sind wegen der Beerdigung gekommen?«
»Nein«, antwortet Berndorf. »Troppau hat seinen Körper dem Anatomischen Institut überlassen. In seinen Unterlagen haben meine Kollegen eine entsprechende Erklärung dazu gefunden. Ich kann Ihnen eine Kopie davon zeigen.«
Abwehrend hebt der Prediger die Hand. »Sagen Sie mir lieber, was ich dann für Sie tun kann.«
Berndorf geht auf die Frage nicht ein. »Sie schienen vorhin anzudeuten, dass er sich in letzter Zeit von Ihrer Gemeinde gelöst hat. Das könnte auch erklären, warum er keine Beerdigung wollte.«
»Es erklärt vor allem, warum er sich aufgehängt hat«, antwortet der Mann in Schwarz schroff. Plötzlich ist der Traktätchen-Ton aus seiner Stimme verschwunden.
Dieser Logik bin ich nicht gewachsen, denkt Berndorf. »Sie wissen nicht, wie es zu dieser Entfremdung gekommen ist?«
»Wir treiben keine Gehirnwäsche. Und Reisende soll man nicht aufhalten.«
»Ich dachte, Sie hätten dafür einen anderen Satz«, bemerkt Berndorf sanft. »Nötigt sie, hereinzukommen . Hat es niemand in Ihrer Gemeinde gegeben, der das versucht hat?«
»Nein«, sagt der Prediger, »jedenfalls weiß ich nichts davon. Wir spionieren unseren Gemeindegliedern nicht hinterher. Habe ich Ihnen das nicht deutlich gesagt? Und wir wollen auch nicht, dass jemand von außen das tut.« Unvermittelt steht er auf, wobei er sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch abstützt. »Einen katholischen Priester würden Sie so nicht bedrängen. Warum versuchen Sie es dann bei mir?«
Auch Berndorf steht auf. »Ich wollte Sie nicht bedrängen.« Er setzt ein kurzes Lächeln auf. »Die etwas fragen / verdienen Antwort . Das ist aus einem Gedicht. Aber vielleicht hätten Sie den Dichter nicht gemocht.« Er nickt seinem Gegenüber zu und geht. Der Prediger folgt ihm schweigend bis zur Haustüre und schließt sie hinter ihm.
Im Kirchenbüro zur Wahrhaftigen Diskretion war es kühl. Draußen brennt die Sonne warm auf die Haut. Die Türkenjungen üben das Spiel zwei gegen einen, es gewinnt, wer zum Schuss kommt. Berndorf geht in Richtung der Bushaltestelle. Er wird zum Hauptbahnhof fahren und mit dem nächsten Zug nach Mannheim.
Einer der Türkenjungen grätscht nach dem Leder und trifft es voll, der Ball fliegt Berndorf vor die Füße, er stoppt ihn ab und schlenzt ihn zurück. Offenbar hat er ihn zu hart getroffen. Der Ball setzt auf der Einfahrt auf und springt krachend gegen den Aushang der Kneipe. Glas splittert.
»Shit«, sagt einer der Türkenjungen, schnappt sich den Ball und rennt weg. Die beiden anderen folgen.
Scheiße, denkt Berndorf. Sie glauben
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