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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Das Lächeln hat aufgehört. »Und damit uns das nicht noch einmal passiert, wird nachher Shortie mit dir fahren.«
    Grassl schweigt. Du hast schon schlimmeren Ärger überstanden als diesen. Irgendwie wirst du rauskommen.
    »Hab ich dir übrigens von der letzten Geschichte mit Shortie erzählt? Das war die Sache mit dem Asylanten. Irgendwas aus Balkanesien. Er ist Shortie dumm gekommen, und da hat ihm der die Rippen eingetreten.« Wieder verzieht sich das Feuermal. »Dem Mann aus Balkanesien fehlt jetzt eine Lunge. Und weißt du, was das Lustigste ist? Der Polizei hat Shortie gesagt, der Mann ist gegen eine Mauerkante gelaufen, da muss das wohl passiert sein. Und alle haben wir gesagt, ja, Herr Wachtmeister, so ist das gewesen. Es war eine Mauerkante. Lustig,was?«
    Shortie nickt. Eine verschämte Röte fliegt über sein Gesicht. Er hat sich mit den Armen auf dem Tisch aufgestützt. Es sind kräftige Arme mit breiten, kurzfingrigen Händen. Auf dem linken Oberarm sind Buchstaben in nachgeahmter Fraktur tätowiert, »VolksZorn« entziffert Grassl. Davor stehen zwei gleiche Zeichen, die er nicht deuten kann: Jeweils ein gerader Strich, der eine Art Andreaskreuz durchschneidet.
    »Sie haben Ihre Fahrausweise?« Der Schaffner tritt an den Tisch heran.
    »Bitte verständigen Sie die kantonale Polizei«, sagt Grassl mit fester, volltönender Stimme. »Diese Männer bedrohen mich. Sie wollen mir meinen Wagen stehlen.« Er nennt die Nummer des Audi. »Die Polizei soll bitte diesen Wagen überprüfen. Es ist dringend.«
    An den Tischen um ihn herum sehen einzelne Fahrgäste auf. »Eh«, bringt der Schaffner heraus, »ich weiß nicht ob ...«

    »Sie haben doch gehört, was dieser Mann gesagt hat«, fährt ihn eine schmale junge Frau an, die am Tisch neben dem Grassls sitzt. »Verständigen Sie die Polizei. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt.«
    »Kein Problem, nirgends«, sagt der Bursche mit dem Feuermal und hebt beschwichtigend beide Hände. »Mein Freund hat nur einen Spaß gemacht. Das heißt, keinen Spaß. Wir sind vom Fernsehen. Wir wollen testen, wie hilfsbereit die Leute sind, wissen Sie, bei all diesen ausländerfeindlichen Übergriffen. . .«
    »Da ist nirgends eine Kamera«, bemerkt die Frau.
    »Ja soll ich jetzt die Kantonspolizei anrufen?« Der Schaffner blickt ratlos.
    »Rufen Sie sie«, wiederholt Grassl mit fester Stimme. »Sie sollen diesen Wagen überprüfen.« Er diktiert ihm die Zulassungsnummer von Zundts Audi.
     
    Das Taxi hält in einer Seitenstraße, die ein Wohnviertel aus den Sechzigerjahren von angrenzenden Werkstätten und Lagerhallen trennt. Vor einem Getränkemarkt stapeln sich Kisten mit leeren Flaschen, in der Einfahrt einer Kneipe daneben, deren Jalousien heruntergelassen waren, spielen drei Türkenjungen Fußball. Auf der Straßenseite gegenüber steht ein zweigeschossiger Backsteinbau, auf dessen Giebelseite sich ein mit Neonröhren besetztes Kreuz über beide Stockwerke zieht.
    Berndorf bezahlt den Fahrer und geht durch einen gekiesten Vorgarten zur Tür des Backsteinbaus. Ein Messingschild teilt mit, dass dies die Reformierte Kirche des Wahrhaftigen Wortes sei und Bruder Hesekiel ihr Prediger; in einem Glaskasten sind die Gottesdienstzeiten angekündigt (samstags 17, sonntags 10 Uhr; Gebetskreise dienstags und donnerstags um 19 Uhr). Berndorf klingelt, ein hagerer, trotz der hochsommerlichen Hitze hochgeschlossen in Schwarz gekleideter Mann öffnet und betrachtet ihn aus dunklen forschenden Augen.

    Berndorf nennt seinen Namen. »Ich hatte vorhin angerufen.«
    »Ich habe Sie erwartet«, sagt der Schwarzgewandete und stellt sich als Bruder Hesekiel vor. Er hat einen festen Händedruck. »Aber treten Sie doch ein.«
    Berndorf folgt dem Schwarzen in ein kleines Büro, dessen eine Wand von einem Regal voller Broschüren eingenommen wird, während an der Seite gegenüber, hinter dem bis auf eine Altarbibel säuberlich leeren Schreibtisch des Predigers, ein wandhohes Plakat hängt, braun, schwarz und weiß. Auf dem Plakat steht nichts weiter als »Im Anfang war das Wort«, gedruckt mit den großen Holzlettern, wie sie früher in Provinzdruckereien für Zirkus- oder Volksfestreklame verwendet wurden.
    Sie setzen sich, Berndorf auf einen Holzstuhl, der Bruder Hesekiel hinter seinen Schreibtisch. Er stützt seine Unterarme auf dem Schreibtisch auf und faltet die Hände.
    »Sie sagten, Sie kommen wegen eines Trauerfalles?«
    »Der Name ist Troppau, Wilhelm Troppau. Ein früherer Kollege von

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