Die schwarzen Raender der Glut
breithüftig auf einem Traktor sitzt. Er erkennt sie und unterdrückt ein Lächeln.
An der Dorfausfahrt steht vor dem Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr ein Tanklöschfahrzeug Magirus-Deutz, Baujahr 1962, lackglänzend und mit hochgeklappter Motorhaube. Neben dem Oldtimer unterhalten sich zwei Männer. Der eine ist hoch gewachsen, aber leicht nach vorne gebeugt, Grassl kennt ihn, es ist der Ortsvorsteher, und neben ihm glotzt sein gelbschwarzer stummelschwänziger Hund triefäugig in den Tag, ein Tier, so grobknochig wie sein Herr. Der andere Mann steckt in einem ölverschmierten blauen Anton.
Grassl deutet ein Kopfnicken an, als er an den beiden Männern vorbeifährt, und gibt vorsichtig Gas.
»So isch recht, Bürschle«, sagt Marzens Erwin, einen Schraubenschlüssel in der rechten Hand, und sieht dem Audi nach. »Verschwind und scher dich zum Teufel und nimm die alte Hex gleich mit. Aber komm mir nicht mehr her.«
»Erwin«, sagt Jonas Seifert, der Ortsvorsteher, »du sollst keine solchen Reden führen.«
»Schon recht, Jonas«, antwortet Marz. »Aber das Bürschle, wenn’s noch einmal rumlurt oben auf dem Schafbuck, dann braucht’s ein Schubkärrele, dass sie ihn heimbringet.«
»Was hast du auf dem Schafbuck zu tun? Ich denk, aus dem Alter bist du heraus.«
Marz wirft ihm einen säuerlichen Blick zu. »Ich mein ja bloß. Was die jungen Leut im Dorf so reden.«
»Seit wann geht das so?«
Marz überlegt. »Seit Frühjahr. Seit das Bürschle auf dem Gut ist.«
Seifert nickt. »Ich red mal mit dem Herrn Zundt.«
Schniefend steht der gelbschwarze Boxer auf, der bis dahin neben seinem Herrn gelegen hat.
»Gleich, Felix«, sagt Seifert, tätschelt ihm kurz den dicken Kopf und wendet sich wieder Marz zu. »Die Leute vom Albverein liegen mir in den Ohren, wir sollten den Franzosensteig wieder herrichten. Es ist wegen der Busverbindung.«
»Warum richtet’s dann nicht der Albverein selbst? Wir sind mit dem Magirus ins Oberland eingeladen . . .«
»Der Umzug in Gauggenried ist erst am Sonntag in acht Tagen«, stellt Seifert klar. »Und um den Steig muss sich nun einmal die Gemeinde kümmern, das war schon immer so.«
Ein klarer blauer Himmel wölbt sich über dem hügeligen Land. Vor einer guten halben Stunde hat Grassl auf dem Ulmer Hauptbahnhof die Hohe Frawe in den Zug gesetzt, der sie ins Allgäu bringen wird, und ist dann über die B 30 in Richtung Bodensee weitergefahren.
Von dem BMW ist nichts mehr zu sehen. Es war ein dunkler Wagen, und Grassl ist sich fast sicher, dass er eine Stuttgarter
Nummer hat. Irgendwo zwischen Schelklingen und Blaubeuren war die Limousine hinter ihnen aufgetaucht und ihnen von da bis Ulm gefolgt, mit wechselnden Abständen, ohne dass der Fahrer Anstalten gemacht hätte, Grassl zu überholen. Aber das geht auf dieser Strecke ohnehin nur schlecht.
Vermutlich hat er sich nur etwas eingebildet. Sich von Old Smiley Zundt anstecken lassen. Die Welt, ein Theater der Verschwörungen. Nichts als Gespinste. In Wahrheit scheint die Sonne, und er fährt in die Schweiz.
Inzwischen liegt die Schnellstraße hinter ihm, aber bis Friedrichshafen wird sich die Fahrt noch eine Weile hinziehen. Er hat die Seitenscheibe abgesenkt und fährt in gemächlichem Tempo, den linken Unterarm lässig auf die Kante der Fahrertür gelegt. Ein Wohnwagen zockelt vor ihm her, im Autoradio kommen Nachrichten, er hört nur mit halbem Ohr zu, der in Köln angeklagte Sektenführer warnt alle Ungläubigen und besonders die in der nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaft, in Berlin soll der einstige Straßenkämpfer und Alt-68er Tobias »Tobby« Ruff neuer Staatsminister im Kanzleramt werden, der untergetauchte Geheimdienstchef ist noch immer untergetaucht, samt seinen 3,8 Millionen Mark im Koffer, und die vereinten deutschen Schlapphüte lassen mitteilen, für die Fahndung seien doch gar nicht sie zuständig und könnten schon deswegen nichts verschnarcht haben.
Grassl stellt sich vor, in Zundts beiden Paketen seien 3,8 Millionen verschnürt. Ganz zufällig hätte er es mitbekommen. Ein kleiner Riss im Packpapier? Er hätte darunter nachgesehen, das Packpapier ganz vorsichtig angehoben, behutsam den Riss vergrößert.
Und drinnen, in alten Zeitungen eingepackt, wären die Millionen. 38 Bündel mit jeweils hundert Tausendmarkscheinen. Das müsste sogar hinkommen. 19 in jedem Paket.
Warum eigentlich nicht? Was bringt das Odilien-Hilfswerk im Jahr an Spenden zusammen? Zehn Millionen, vielleicht
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