Die schwarzen Raender der Glut
nicht, dass man ihnen glaubt. Seufzend geht er über die Straße und klingelt an der Kneipe. Niemand meldet sich.
Der Audi kriecht im ersten Gang auf das Thurgauer Ufer.
Die Planken klappern nicht, weil Schweizer Planken das nicht tun. Im Rückspiegel sieht Florian Grassl, dass auch der blaue BMW mit dem Stuttgarter Kennzeichen anrollt. Nach dem Zwischenfall mit dem Schaffner hatten sich die beiden Männer weggesetzt und waren kurz darauf nach unten zu ihrem Wagen gegangen.
Am Ufer warten zwei Uniformierte mit den hohen runden Schirmmützen eidgenössischer Ordnungshüter und besehen sich die Kennzeichen der Autos, die die Fähre verlassen. Als sie Grassl und den Audi sehen, winken sie ihn zur Seite.
Einer der Grenzer kommt zu Grassl ans Fenster der Fahrertür und bittet um die Papiere.
»Lustiges Mützlein, was Sie sich da aufgesetzt haben«, sagt Grassl. »Bei uns könnten Sie damit auf den Fasching gehen. Großes Ehrenwort.«
Der Uniformierte sieht ihm ins Gesicht. »Können Sie verstehen, was ich Ihnen sage? Ich möchte Ihren Ausweis sehen, und die Fahrzeugpapiere.«
»Oh! Die Papiere«, sagt Grassl. »Aber bitte.« Er holt umständlich seine Brieftasche aus dem Jackett und klappt sie auf. »Schau’n wir mal, was wir da haben.« Er holt einen grünen Zettel heraus und betrachtet ihn. »Hier.« Er hält den Zettel dem Grenzer vors Gesicht. »Hätt’ ich fast vergessen. Einer von meinen besseren Anzügen. Ich muss ihn aus der Reinigung holen. Merci vielmals, dass Sie mich erinnert haben.«
»Steigen Sie bitte aus«, befiehlt der Grenzer und winkt den zweiten Beamten herbei. Der nähert sich, die Hand auf die Dienstpistole an seinem Gürtel gelegt. Grassl löst den Gurt, öffnet die Tür und bequemt sich, sehr langsam und sehr bedächtig, aus dem Audi. Die Kolonne der Autos aus der Fähre rollt wieder an und fährt an ihm und dem Grenzposten vorbei in den Kanton Thurgau.
Auch der BMW mit der Stuttgarter Zulassung.
»Unsere alten Städte sind heruntergekommen«, klagt Eisholm und wedelt mit den weiten Ärmeln seines Talars zu den Zuhörern,
als sei die fensterlose Trübsal des Sitzungssaales Beweis genug, »leider ist das so, alte Wohnviertel zerfallen, verlieren ihre Identität, ihre Seele, werden zum Ghetto . . .«
Schwätzer, denkt Franziska.
»Nicht alle beklagen das«, fährt der Anwalt fort. »Nehmen Sie meinen Mandanten, kein großes Kirchenlicht, aber das werden Sie selbst bemerkt haben, mit der Verwaltung der Brauerei-Immobilien beauftragt, ein schöner Titel, in Wahrheit mit weniger Kompetenz ausgestattet als jeder Hausmeister. Er betreut eine heruntergekommene Kaschemme in einem heruntergekommenen Viertel. Was tun damit? Wer will da investieren? Wer Pacht dafür bezahlen? Die einzige Kundschaft, mit der ein Wirt rechnen könnte, holt sich die Zwei-Liter-Bombe bei der nächsten Tankstelle oder beim nächsten Wasserhäuschen.«
Eisholm verschränkt die Arme vor der Brust. »In dieser Situation nun kommt das Sozialamt und sucht Wohnungen. Einfache Wohnungen. Wohnungen, in denen nicht viel kaputtgehen kann, wenn der Mieter mal wieder alles kurz und klein schlägt. Können Sie sich die Erleichterung meines Mandanten vorstellen? Plötzlich bekommt er für die alte Bruchbude Miete, richtiges Geld, pünktlich überwiesen . . .«
Die Tür des Verhandlungssaals öffnet sich, ein Zuhörer tritt ein, Eisholm blickt hoch, irritiert, als habe er den Neuankömmling erkannt und wisse nicht, was dieser hier soll. Franziska dreht sich um. Das Gesicht des Mannes, der einige Reihen hinter ihr Platz nimmt, sagt ihr nichts.
»Wenn Sie die Mietabrechnungen betrachten«, fährt Eisholm fort, »werden Sie feststellen, hohes Gericht, dass der Arbeitgeber meines Mandanten durchaus kein schlechtes Geschäft mit dem Sozialamt gemacht hat, es ist ein so wenig schlechtes Geschäft gewesen, dass Sie sehr wohl Ihre eigene Meinung davon haben können, möglicherweise keine besonders gute von den moralischen Eigenschaften meines Mandanten und seines Arbeitgebers – aber zu fällen haben Sie eben kein moralisches, sondern ein juristisches Urteil, und da
kommen Sie an der Feststellung nicht vorbei, dass mein Mandant an einem warmen Abbruch dieses Gebäudes gar nicht interessiert sein konnte . . .«
»Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß / als heimliche Liebe, von der niemand nichts weiß« , singt Solveig, das heißt, sie will es singen, aber Hubert Höge klopft ab und unterbricht sie und sagt: »Solveig,
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