Die schwarzen Raender der Glut
dieses Mädchen ist verliebt, das wissen Sie doch sicher, was das ist? Das können Sie nicht singen, als ob Sie sich an der Hühnersuppe die Zunge verbrannt hätten . . .«
Die in der Aula versammelte Laiensingspielschar kichert. Solveig schaut Hubert Höge aus verständnislosen braungrünen Augen an, in denen tief die Frage schlummert, seit wann Lehrer denn etwas von Liebe verstehen. Sie habe doch alles richtig gesungen? So, wie es auf dem Notenpapier steht?
Hubert Höge sieht sich hilflos um. Die Studienassessorin Miriam Bachfeld (Englisch, Sport) schaltet sich ein. »Solveig, sehen Sie, dieses Mädchen ist ein Punk, tough und ausgekocht, und dass die sich verliebt hat, so richtig verliebt mit allem Drum und Dran und Herzklopfen bis zum Hals, das ist der so rasend peinlich, als ob die Mutter zu Besuch käme. Und damit ist es ja nicht genug. Ihr Typ, dieser Prinz mit seinem lila Benz-Coupé und seinen Versace-Anzügen und den reaktionären Farben einer piekfeinen Verbindung – der ist so was von daneben, dass die ganze Szene sich kugelt vor Lachen . . .«
Reaktionäre Farben? Offensichtlich weiß Solveig nicht, was das sein soll. Miriam Bachfeld, als Regieassistentin in die Vorbereitung der Schlussfeier eingebunden, nimmt einen neuen Anlauf.
»Das Mädchen weiß doch, dass das mit diesem Typ nichts werden kann, dass das jenseits aller Vorstellung ist und einfach unmöglich, und deswegen darf niemand davon etwas wissen, klar doch, aber im gleichen Augenblick möchte dieses Mädchen alles herausschreien, alle Welt soll es wissen, die ganze Stadt . . . und damit sie an diesem Zwiespalt nicht zerbricht,
will sie es singen . . .« Die Tür der Aula öffnet sich, Birgit Höge schlüpft hinein und zieht die Tür wieder hinter sich zu.
Rehlein, was redest du da? Unsere Kids kennen keinen Zwiespalt und kein Geheimnis und kein Zerbrechen, denkt Birgit. Dass der Akku des Handys leer ist, das kann ihnen passieren. Oder dass Hubert die Gummis vergessen hat. Aber dann haben sie selber welche im Täschchen.
»Okay«, sagt Solveig. »Sie will es herausschreien, aber sie tut es nicht. Also muss das doch verhalten sein, irgendwie leise, fast still.«
Miriam stimmt zögernd zu.
Bevor Solveig neuerlich in Töne ausbricht, huscht Birgit nach vorn zu Hubert an den Konzertflügel. Ihrer Mutter gehe es nicht gut, sagt sie rasch, sie werde am Nachmittag zu ihr nach Freiburg fahren, aber mit dem Zug, und vermutlich übers Wochenende dort bleiben: »Nein, du musst wirklich nicht mit, aber vergiss nicht, der Katze zu fressen zu geben, im Vorratsschrank sind noch Dosen, die mit dem Tunfisch mag sie besonders . . .«
Die Angeklagten schließen sich in ihren Schlussworten den Ausführungen ihrer Verteidiger an, nur Eisholms Mandant verwahrt sich mit blassem entrüstetem Gesicht dagegen, dass er vom Sozialamt überhöhte Mieten kassiert habe, aufgedrängt worden sei ihm das Geld, wenn er nur die Leute aufnehme. . . Nach kurzem Getuschel auf der Richterbank teilt der Vorsitzende mit, dass das Urteil nicht vor 18 Uhr zu erwarten sei. Ärgerlich packt Franziska Kugelschreiber und Notizblock ein, für sie ist das die dümmste Zeit, die das Gericht sich hätte aussuchen können, die überregionalen Zeitungen, für die sie arbeitet, haben da schon Redaktionsschluss der Deutschland-Ausgabe und jedenfalls keinen Platz mehr für ein Feature, vermutlich würde sie nur eine knappe Meldung verkaufen können.
Eisholm kommt auf sie zu. Heute keinen Kaffee!, denkt
Franziska, aber der Anwalt geht an ihr vorbei auf den Mann zu, der während seines Plädoyers gekommen war.
»Ich dachte, man hat Sie aus dem Verkehr gezogen?«
»Hat man auch.« Die beiden Männer tauschen einen Händedruck.
»Und dann zieht es Sie ausgerechnet hierher! Sie werden doch kein forensisches Groupie von mir werden wollen? Nächste Woche hätte ich da einen schönen Termin in Memmingen, der Dorfpfarrer und die kleinen Firmlings-Mädchen, leider ist Worm ebenfalls vor kurzem in Pension gegangen . . .«
Franziska schiebt sich an den beiden Männern vorbei.
»Entschuldigen Sie mich«, sagt der andere Mann und wendet sich Franziska zu. »Sie sind Frau Sinheim, Franziska Sinheim?« Der Mann ist mittelgroß, zwischen 50 und 60 Jahre alt, hat angegrautes dunkles Haar und hält sich sehr aufrecht.
Franziska bleibt stehen und blickt den Mann fragend an.
»Hätten Sie eine oder zwei Minuten Zeit für mich?« Der Mann hält ihr eine Visitenkarte hin. Es ist eine der Karten, wie
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